piwik no script img

Wenn der Staat mit im Bett liegt

■ Eine Berliner Chinesin berichtet über Chinas Ein-Kind-Politik und ihre Folgen. Manche Frauen gehen weg ins Exil, um ein zweites Kind bekommen zu können

Li Shi*, eine 32jährige Bürokauffrau aus China, kann wunderbar lachen. Aber wenn sie von ihrem Land erzählt, wird sie ganz ernst. Nein, sie möchte nicht zurück, gibt sie offen zu.

Die frühere Übersetzerin und Reiseleiterin hatte, noch in China, im Rahmen ihrer Arbeit einen Deutschen kennengelernt. Große Liebe, sie wollten heiraten. Doch die Hochzeit mußte vom Sicherheitsdienst der Partei erst genehmigt werden. Sie mußte sich Verhöre gefallen lassen: Ob sie sicher sei, daß er kein Agent sei. Zum Beweis dafür, daß die Liebe auch echt sei, hatte sie dem Standesamt einen Liebesbrief von ihm vorzulegen und zu übersetzen. Diesen staatliche Zugriff auf ihre intimsten Geheimnisse hat sie „bis heute nicht überwunden“. Li war froh, ihrem Land entfliehen zu können. Seit 1986 lebt das Ehepaar in Berlin, der gemeinsame Sohn geht inzwischen in die Schule.

Auch Zhou Zhang* hat ein Kind, und sie möchte gern ein zweites. Sie kam mit ihrem Mann nach Berlin, um die Anzahl der eigenen Nachkommenschaft genauso wie viele andere Dinge endlich selbst bestimmen zu können. In China arbeiteten beide als Lehrer, in Berlin schuftet sie als Putzfrau und er als Koch. Aber die soziale Degradierung nehmen sie widerstandslos hin. „Wenigstens haben wir jetzt unseren Frieden“, sagen sie. Der soziale Absturz, der sie mit einem zweiten Kind bei einer Rückkehr nach China erwarten würde, wäre noch schlimmer.

„Wer mehr Kinder bekommt“, erläutert Li Shi, „hat einen ungeheuer hohen Preis zu bezahlen.“ Man müsse Strafgebühr bezahlen und erhalte keine Betriebszulagen mehr, keine Beförderung, keine Wohnungszuteilung, keine Nahrungsmittelhilfe. „Manche, wie eine Freundin meiner Schwester, werden sogar sofort entlassen.“ In den Staatsbetrieben werde jungen Ehepaaren genau vorgeschrieben, in welcher Frist sie ihr Kind zu bekommen hätten.

Noch katastrophaler sei die Ein- Kind-Politik für die Bauern - immer noch rund 80 Prozent von Chinas Gesamtbevölkerung. „Viele leben immer noch ohne jede Art von Versicherung, die Kinder sind ihre Versicherung.“ Aber wenn das einzige Kind eine Tochter ist, verlasse diese der Tradition gemäß irgendwann das Haus, um zur Familie ihre Ehemannes zu ziehen, „und die Eltern sind allein“. Sogenannte Arbeitsgruppen oder Sanitätskomitees der Partei, berichtet Li Shi, „überwachen die Leute in den Dörfern. Wenn sich bei einer Frau, die schon ein Kind hatte, ab dem sechsten Monat der Bauch sichtbar rundet, wird sie abgeführt – zur Abtreibung und sogar auch zur Sterilisation.“

Allein zwischen September 1981 und Dezember 1982 seien 16,4 Millionen Frauen und 4 Millionen Männer in den Provinzen zwangssterilisiert worden, schreibt der US-Geschichtsprofessor Jonathan Spencer in seinem Buch „Chinas Weg in die Moderne“. Wer sich wehrt oder versteckt, riskiert nach Erkenntnissen von amnesty international, daß seine Angehörigen als Geisel inhaftiert würden. Weil viele Eltern aus Verzweiflung entweder sich selber oder ihre weiblichen Babies umbrachten, sagt Li, erlaube die Partei inzwischen in ländlichen Regionen eine zweite Geburt, wenn das erste Kind ein Mädchen war.

Die Diskriminierung des weiblichen Geschlechts sei umfassend, berichtet Li Shi. „Geschiedene oder alleinerziehende Frauen werden verachtet, ihre Kinder werden als ,Schmutzlappen‘ und sie selbst als ,angebissener Apfel‘ beschimpft.“ Nur bei körperlicher Arbeit werde kein Unterschied gemacht: „Mao hat gesagt, Frauen und Männer sind gleich“, lächelt sie voller Ironie. Sie selbst arbeitet derzeit in einer Praxis für chinesische Medizin.

In Berlin könne sie „als emanzipierte Frau“ nach ihren eigenen Vorstellungen leben, in China aber trauten sich die Frauen nicht, über ihre eigenen Bedürfnisse inklusive Sexualität zu reden. „Sie haben Angst, ihr Gesicht zu verlieren oder Anlaß für Gerede zu bieten.“ Aber es gebe auch kaum Raum für Erotik und Sexualität. In den Wohnungen herrsche drangvolle Enge. Auch außerhalb „geht nichts, überall sind Menschen“. Li lacht ihr schönes Lachen. „Vielleicht sehen die Chinesen deshalb immer so brav aus.“ Zärtlichkeiten auf der Straße sehe man nicht.

Ist Deutschland also das Paradies? Nein, so möchte Li Shi nicht verstanden werden. Hier, sagt sie, herrscht dafür menschliche Kälte und Erfolgssucht. Weder mit den Westdeutschen noch mit den Ostdeutschen wird sie völlig warm. „Ich erkenne die Ostler“, lacht sie. „Die Chinesen leben ja auch aufgeteilt in einem kommunistischen und einem kapitalistischen Staat. Und wenn jemand so scheu und vorsichtig und ein bißchen verklemmt daherkommt, weiß ich gleich Bescheid.“ Ute Scheub

*Namen v. d. Red. geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen