: Ein weites Feld, ein heikles Feld
■ betr.: „Unterm Strich“ (B. Breuel zu G. Grass), taz vom 11. 9. 95, „Mythen in Tüten“, taz vom 13. 9. 95
Vom nie real existenten Arbeiter- und Bauernparadies hinüber in die allein am Kapital orientierten blähenden Landschaften, das ist so ziemlich dasselbe, wie vom Regen in die Traufe. Hier hat Günther Grass durch die Literatenbrille weitsichtigen Blick bewiesen, weitsichtiger als es den Kritikern lieb ist. Endlich einmal schlägt Deutschlands Dichterfürst Nr. 1 im richtigen Takt auf seine in die Jahre gekommene Blechtrommel, diesen Ton der Dissonanz von einem, den sie immer für einen der Ihrigen halten durften, den vertragen sie, die Vertreter des guten Geschmacks, überhaupt nicht. Aus den Logenplätzen dieser Republik schallt es im schrillen Ton, Unflat und Geschichtsklitterei zurück.
Für die Benutzer der ersten Reihe mag es Geschichtsklitterei sein, für diejenigen, die auf den Sperrsitzen verharren, ist es erlebte Tatsache. Die produktiven Werte 40jähriger DDR-Geschichte wurden von der Hamburger Bankierstochter an die Spekulanten aus Nah und Fern, an Freund und Feind billigst verhökert, die Betroffenen werden sich der Treuhandtätigkeit allzeit als Birgits Greuel erinnern.
Allen Widerständen zum Trotz, Günther Grass hat sein Schäfchen im Trockenen, unbequeme Wahrheiten „beim Namen“ zu nennen, das kann sich der erfolgreiche Autor auch finanziell leisten, Verrisse, die überlebt er. Wahrscheinlich überlebt er sogar die Kritiker, zu wünschen wär's denen. H. J. Schwitkowski, Heilbronn
Schlechte Bücher, wie das von Grass nun einmal eines ist, müssen und dürfen ja wohl verrissen werden, was? Und wenn es nun so dermaßen schlecht ist, daß es alle, alle verreißen, so what! Und dagegen hat nun Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer was ... das darf doch nicht wahr sein! Das scheint alles zu sein, was in der taz offenbar von ihrem Zeit-Artikel („Ende der Unschuld“) angekommen ist. Dabei geht es doch dabei gar nicht um die Laus (oder Seibts oder Radisch), dagegen hat doch kein Mensch etwas, daß Literaturkritik Literaturkritik ist, diese Leute sind doch nicht das Problem. Weil sie jenseits eines ja durchaus eingespielten feuilletonistischen Regelwerks innerhalb der relativ kleinen Klientel ihrer LeserInnen ja überhaupt keine Macht haben. Aber das TV inklusive Spiegel mit „den etwas anderen Spielregeln“ doch allerdings. Und darauf zielt Vollmers Artikel ab: auf die Realsatire Reich-Ranicki/Karasek. Und die hat dort aufgehört witzig zu sein, wo sie aus verselbständigten Machtinteressen heraus, die Grenze von Kritik und persönlicher Diffamierung zugunsten des vermeintlichen „Unterhaltungswerts“ verletzt. Das ist der Unterschied zwischen Literaturkritik und als solche getarnter Infamie. Und genau das ist mit Spiegel und „Literarischem Quartett“ geschehen. Wen würde es wundern, wenn man sich von solcher Art von „Öffentlichkeit“ abwenden wollte, wo dies geeignet ist, den öffentlichen Raum endgültig zu zerstören? Norbert Niemann, Chieming
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