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Spielarten der Femme fatale

Von der deutschen Walküre zur weltläufigen Neurotikerin: Ein schönes, kluges Buch über die Bühnenschauspielerinnen Clara Ziegler, Sarah Bernhardt und Eleonora Duse, die Kunst der Selbstinszenierung und den frühen Starkult  ■ Von Sabine Seifert

Clara Ziegler war groß und hatte eine laute Stimme. Kein ätherisch-entrücktes Wesen wie Eleonora Duse, keine exotisch- verführerische Erscheinung wie Sarah Bernhardt. In langen, derben Gewändern, mit Brustpanzer, Lanze in der Hand, den Kopf zur Seite gedreht und das Kinn energisch nach oben gereckt – so präsentierte sich Clara Ziegler in ihren Lieblingsrollen: als Brunhild, Medea, Penthesilea, Judith oder Johanna. Ein Walkürentypus.

Ob Amazone, Rachegöttin oder teutonische Heroine – sie war die „Jungfrau in Waffen“. Eine deutsche Ausgabe der Femme fatale, martialisch, aber anständig: „mehr fatale als Femme“. Clara Ziegler kennt heute kaum noch jemand. Sie gründete eine Stiftung und hinterließ der Öffentlichkeit außerdem ihr prächtiges Haus am Englischen Garten in München nebst persönlicher Trophäensammlung. Darin ist jetzt das Theatermuseum München untergebracht, wo Anfang des Jahres nacheinander drei, den Schauspielerinnen Clara Ziegler, Sarah Bernhardt und Eleonora Duse gewidmete Ausstellungen zu besichtigen waren. Eine zeitlang war der dazu erschienene Katalog der Ausstellungsmacherin Claudia Balk vergriffen – ein prächtiger Band mit wunderbaren Reproduktionen und einer klugen Analyse des frühen Starkults. Nun ist das Buch mit dem Titel „Theatergöttinen. Inszenierte Weiblichkeit“ wieder im Handel.

Die Stars der Jahrhundertwende waren die Bühnenschauspielerinnen. Die Ziegler, die Bernhardt, die Duse: Alle drei erarbeiteten sich ein maßgeschneidertes Rollenrepertoire, das sie lebenslang beibehielten. Clara Ziegler war eine Berühmtheit – innerhalb des deutschsprachigen Theaters. Sarah Bernhardt aber war der erste Weltstar. Sie füllte in Amerika mühelos Eisstadien. Ihre Affären, das exzentrisch ausgestattete Haus in Paris, das nach außen gekehrte Privatleben, die Übereinstimmung von Bühnenrollen und öffentlichem Erscheinungsbild – Sarah Bernhardt schaffte es, ihr Image zu kreieren und mit absoluter Perfektion zu vermarkten.

Nachdem sie festgestellt hatte, daß sich durch Gastspiele und ausgedehnte Tourneen, die sie jahrelang durch Süd- und Nordamerika, Australien, Skandinavien und Rußland führten, mehr verdienen ließ als durch ein festes Engagement bei der noblen Comédie Française, wurde sie vertragsbrüchig, zahlte eine Ablösesumme und pachtete schließlich die Theater in Paris, in denen sie spielen und inszenieren lassen wollte. Ihre jahrelange Abwesenheit nutzte sie geschickt, um sich anbahnenden Anfeindungen zu entziehen und auf diese Weise ihren Ruhm eher noch zu steigern.

Clara Ziegler und Sarah Bernhardt sind beide 1844 geboren (die Duse war vierzehn Jahre jünger); aber nie wäre eine so deutsch-biedere Ausgabe der Femme fatale in Frankreich möglich gewesen; umgekehrt war Sarah Bernhardt für deutsche Verhältnisse um einige Nummern zu exzentrisch, ihre Herkunft als Tochter einer jüdisch- holländischen Kurtisane zu verrucht. Nationales Selbstverständnis, Zeitgeist und Zeitströmungen in Deutschland und Frankreich unterschieden sich grundlegend.

Rollender Donnerton: Clara Ziegler

Clara Ziegler huldigte dem idealistischen Monumentalismus und Historismus auf der Bühne, wie er auch in der Malerei jener Zeit üblich war. Eine „Ära des falschen Pathos“, schreibt Claudia Balk: schöne Gesten, hohle Phrasen, effektvolle Auftritte. Von „elegischem Hirnschmelzungs-, ernst rollendem Donner- und jäh einschlagendem Verzweiflungston“ der Ziegler ist bei Fontane die Rede, der diesen „Zug des Unechten“ nicht mochte: „Es ist das Äußerlichste, zugleich auch das Stereotypste, was ich auf der Bühne kennengelernt habe.“ Deklamationstheater unter dorischen Säulen, das deutschtümelnd aufbereitete Historiendrama erfreute sich großer Beliebtheit.

Dennoch waren Clara Zieglers Laufbahn und die von ihr gewählten Rollen keine Selbstverständlichkeit. Schauspielerin war einer der ersten Frauenberufe überhaupt, allerdings von zweifelhaftem Ruf. Viele Schauspielerinnen, die ihre stets aufwendigen Kostüme selbst zahlen und schneidern mußten, standen am Rande der Prostitution. Aber auch die berühmteren Kolleginnen waren den erotischen Projektionsmustern ihrer Zeit ausgesetzt.

Ihren Erfolg verdankten sie dem geschickten Ausbeuten der Wünsche und Ängste ihrer Zeitgenossen. Clara Ziegler spielte Monster-, Riesenweiber und Superheldinnen in einem, deren erotische Kraft beruhigenderweise im Panzer der Jungfrauenuniform schlummert. Ihr Tod und Verderben bringendes Naturell: eine Abweichung von der Natur. Kein Wunder, daß die Schauspielerin privat ein braves Leben führte. Sie heiratete ihren sehr viel älteren Vormund. Nach dessen Tod blieb sie Witwe und lebte fortan mit der Stieftochter zusammen.

Exotische Verführung: Sarah Bernhardt

Unvorstellbar, daß Clara Ziegler sich Raubtiere gehalten hätte – wie Sarah Bernhardt! Undenkbar, daß sie – wie Sarah Bernhardt – einen Journalisten in ihr Schlafzimmer gebeten hätte, der darin einen Sarg und das ausgeblichene Skelett eines jungen Mannes entdecken konnte, der angeblich aus Liebeskummer wegen seiner Angebeten gestorben war!

Sarah Bernhardt – sie war die Femme fatale! Und die Muse des Ästhetizismus und Symbolismus im ausgehenden 19. Jahrhundert: der Inbegriff von Sinnlichkeit. Viel nackte Haut, juwelenbehängt, das galt als schön. Kostüme und Bühnenausstattung mußten prachtvoll und möglichst exotisch ausfallen. Überhaupt machte Madame ein Gesamtkunstwerk aus sich: Bedeutende Künstler entwarfen Schmuck und Plakate für sie. Art nouveau und Jugendstil machten mit den von Alfons Mucha gestalteten Plakaten für „Die Kameliendame“, „Gismonda“, „Princesse Lointaine“ oder „La Samaritaine“ die Runde.

Sarah Bernhardt spielte meist die verderbenbringende Verführerin, ihr Genre war das Melodram, das Ausstattungsstück – von Edmond Rostand, Alexandre Dumas fils oder Victorien Sardou für sie verfaßt und heute kaum noch gespielt. Ihre bekannteste Rolle wurde die „Kameliendame“, die schöne Kurtisane, die jung, aber edel liebend stirbt. Zwei Fotografien im Buch ermöglichen, die Darstellungen der Bernhardt und der Duse als sterbende „Kameliendame“ zu vergleichen: mit leicht geöffneten Lippen, offenem Haar, den Arm ausgestreckt liegt die Bernhardt über das Sofa gegossen. Die Duse dagegen hat sich unter die Bettdecke verkrochen, ein wie in vorzeitige Todesstarre gefallenes Geschöpf, das bloß eine zarte Hand und das schmale Gesicht herausragen läßt.

Ätherisches Leiden: Eleonara Duse

Sarah Bernhardt und Eleonora Duse waren schärfste Konkurrentinnen mit teilweise identischem Repertoire – bei höchst unterschiedlicher Rollenauffassung. Ihre Interpretationen der „Kameliendame“ spaltete die Lager. Alfred Kerr schrieb: „Bei der Duse hört man die Ewigkeit rauschen, bei der Bernhardt die Kulissen wackeln.“ Auch G.B. Shaw kritisierte die Französin – „Sie ist so schön, wie sie es gelernt hat – und dabei ganz und gar unmenschlich“ – und lobte ihre Rivalin: „Sie rührt an unser Herz, weil sie so bescheiden und zurückhaltend, so einfühlsam ist. Äußerliche Reize sind erst dann erhaben und schön, wenn darin auch der Reiz der Tugend zum Ausdruck kommt.“

Eleonara Duse: Ihre Kameliendame brachte das Heilige in der Hure zum Vorschein. Eine „Cocotte in moll“ nannte sie Hugo von Hofmannsthal. Spielte Sarah Bernhardt die Femme fatale, dann verkörperte Eleonora Duse die Femme fragile.

Sie wirkte zerbrechlich, kleidete sich in lange fließende Gewänder und schminkte sich nicht: das „natürliche“ Gegenteil der artifiziell-vitalen Bernhardt. Die Duse verursachte keine Skandale, gab keine Interviews, litt an ihrem Ruhm. Claudia Balk sieht die Femme fragile als Spielart der Femme fatale. Hier die grausame Perversion, dort die Neurose. Die Duse stand nicht für verkörperte, sondern für entkörperte Sinnlichkeit, sie bedeutete die Verdrängung der Erotik, ihre Unerreichbarkeit, das Unberührbare des angebeteten Idols. Und paßte damit hervorragend in das neue „Zeitalter des Seelenkults“.

Die Frauengestalten der Duse waren Leidende – sie selbst war lungenkrank. Sie stammte aus einer italienischen Schauspielerfamilie und mußte bereits früh für die kranke Mutter einspringen. Ein Trauma für das introvertierte Kind. Mit vierzehn sollte sie in Verona die Julia spielen. Also am historischen Ort im angegebenen Alter. Dabei konnte sie sich wohl das erste Mal die eigene Qual vom Leib spielen – dieses „Julia“-Erlebnis machte oder bekehrte sie zur Schauspielerin, die sich ihre Rollen durch Einfühlung (man denke an Stanislawski, der die Duse verehrt hat!) anverwandte.

Aber was für ein Ehrgeiz! Sie trat buchstäblich in die Fußstapfen der vierzehn Jahre älteren Sarah Bernhardt: spielte kurze Zeit später in denselben Städten, ging auch auf ausgedehnte Tourneen, übernahm viele Rollen des Bernhardt- Repertoires. Bloß Sardou mochte sie nicht. Dafür spielte sie Ibsen. Eine Wahl, die für Sarah Bernhardt undenkbar gewesen wäre – die zwar als Theaterdirektorin Stücken anderer Autoren zur Uraufführung verhalf, selbst aber dem Anti-Naturalismus, dem Anti-Realismus verbunden blieb.

Eleonora Duse schaffte mit Ibsen den Anschluß an die Moderne. Als erste große Schauspielerin des 20. Jahrhunderts wandte sie das moderne Prinzip der Reduktion des Spiels an. Die Duse identifizierte sich – aus der eigenen Geschichte heraus – mit dem Leiden ihrer Heldinnen und destillierte daraus ihren Stil. Sie implodierte, wo die Bernhardt explodierte.

Hier die Aura des Geheimnisvollen, die Entführerin in höhere Gefilde, dort die Aura des Exzentrischen, die Verführerin der niederen Instinkte – Eleonora Duse und Sarah Bernhardt wurden Weltstars. In den Stand der Ewigkeit erhobene Theatergöttinnen. Sie kreierten nicht nur einen individuellen Darstellungsstil, sondern kultivierten die eigene Person. 1928 versuchte man die Legende Sarah Bernhardt – fünf Jahre nach ihrem Tod – für das Kino auszubeuten. Der Film „The Divine Woman“ ist zwar verschollen, seine Hauptdarstellerin aber bekannt: Greta Garbo. Die Schauspielerin als öffentliche Kunstfigur – Hollywood übernahm das Starsystem vom Theater für den Film.

Claudia Balk: „Theatergöttinnen. Inszenierte Weiblichkeit“. Stroemfeld/ Roter Stern, 99 DM.

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