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■ Perspektiven grüner Außenpolitik nach dem LänderratErste Ansätze zur Quadratur des Kreises

Soviel kann man nach dem Kleinen Parteitag der Bündnisgrünen am Wochenende in Berlin wohl bereits jetzt sagen: Die Spaltung der Partei an der Bosnien-Frage wird nicht stattfinden. Seit den existenzgefährdenden Krisen früherer Jahre haben es die Grünen geschafft, eine Streitkultur zu entwickeln, die auch eine Zeitlang völlig unversöhnliche Gegensätze zuläßt, um dann schrittweise einer Lösung zuzustreben, die möglichst viele mitnehmen soll. Ob diese Lösung sich später auch an der Realität messen lassen kann oder nur der kleinste gemeinsame Nenner einer Mehrheit der Partei wird, entscheidet sich spätestens auf dem Parteitag im Dezember. Bis dahin wird weiter diskutiert, werden die beiden Lager noch eine Menge bedruckten Papiers produzieren und zumindest im kleinen Kreis einen Kompromiß vorbereiten.

Während die sozialdemokratische Opposition einem neuen Tiefpunkt innerparteilicher Auseinandersetzung zustrebt, haben die Grünen erste Ansätze zur Quadratur des Kreises vorgestellt. Der Ausweg aus dem Dilemma, auf der einen Seite bei den Verbrechen in Bosnien nicht tatenlos zusehen zu wollen und auf der anderen Seite nicht den Konservativen bei einer Neuorientierung der Bundeswehr in die Hände zu arbeiten, heißt Internationalisierung von Konfliklösungen, Machttransfer zugunsten supranationaler Organisationen, heißt kollektive Verteidigung, die aber eben auch eine militärische Variante braucht.

Weitgehende Einigkeit bestand in dem Punkt, das Militär möglichst nicht der Verfügungsgewalt einzelner Nationalstaaten zu überlassen, sich nicht vor den Karren derjenigen spannen zu lassen, die nationale Interessen letztlich auch wieder mit militärischen Mitteln durchsetzen wollen. So sehr es bei den Bündnisgrünen strittig ist, ob die derzeit stattfindenden Einsätze der Nato in Bosnien eben jenen nationalstaatlichen Interessen dienen oder aber die Bevölkerung Sarajevos rettet – den big stick für Rühe und Kohl will niemand.

Statt dessen mehr Macht für UNO und OSZE. Vor allem die OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, rückt langsam, aber sicher ins Zentrum der Konzepte grüner Außenpolitik. Das Problem ist, die OSZE ist zur Zeit nicht viel mehr als eine europäische Absichtserklärung, während die Macht – und nicht nur die militärische – eindeutig bei der Nato liegt.

Die Befürchtung der Linken ist deshalb, daß sie bei der Hinwendung zu den supranationalen Organisationen plötzlich bei der alten CDU-Parole von der Nato als größter Friedensbewegung der Welt landen – ein Greuel für alle, die sich jahrelang von den Kasernentoren der Nato haben wegtragen lassen und nun das gesamte Selbstverstädnis der Partei in Frage gestellt sehen.

Die Interventionisten dagegen fürchten, daß die Partei sich auf ein wunderschönes OSZE-Konzept für präventive Diplomatie in Europa einigt und damit einen Papiertiger produziert, der für den nächsten Bosnienkrieg wieder nicht realitätstüchtig ist. Sie wollen ein Konzept, daß Blauhelme und andere international legitimierte Truppen auch zu friedenserzwingenden Einsätzen vorsieht.

Immerhin, die Konfliktlinien sind klar, die Fragen alle gestellt und die Widersprüche bei den Zielvorstellungen benannt. Das ist tatsächlich mehr, als die anderen Parteien für sich in Anspruch nehmen können. Jürgen Gottschlich

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