piwik no script img

■ Über LiteraturOhne Beachtung

Ungarisch lernen, Albanisch, Hindi, Suaheli? In Deutschland kein Problem. Rumänisch? Bis vor ein paar Monaten mußte der oder die Interessierte entweder in Universitätsbibliotheken stöbern oder nach Rumänien fahren, denn es gab kein Lehrbuch. Und ein brauchbares Wörterbuch ist bis heute nicht erhältlich. Angesichts dessen ist es kein Wunder, daß deutsche Verlage von der rumänischen Literatur kaum Notiz nehmen. Oder besser gesagt: von der Literatur in Rumänien.

Schriftsteller wie Panait Istrati, Tristan Tzara, Eugène Ionescu, Emile Cioran oder Mircea Eliade, die in der Zwischenkriegszeit aus Rumänien emigrierten und ihre Werke ausschließlich oder größtenteils nicht in ihrer Muttersprache publizierten, wurden im Westen berühmt. Ihre Werke sind auch heute in Deutsch erhältlich. Anderen, jüngeren Schriftstellern wie Paul Goma, Norman Manea oder Mircea Dinescu (der gewiß zu den besten lebenden europäischen Dichtern zählt) hat ihre aufrechte Haltung gegen die Ceaușescu-Diktatur zu Publizität verholfen.

Der Rest ist nicht Provinzliteratur, aber unübersetzt: der große rumänische Klassiker Ion Luca Caragiale, der es wie kein anderer verstand, die Zustände seines Landes und die Mentalität seiner Landsleute in satirischen Theaterstücken und Skizzen zu beschreiben; der jüdische Schriftsteller I. Peltz, der mit seinem Roman „Calea Vacaresti“ (eine Bukarester Straße, die in den achtziger Jahren abgerissen wurde) eine exemplarische Beschreibung des jüdischen Lebens in Bukarest geschaffen hat; der jüdische Schriftsteller und Publizist Mihai Sebastian, der in den dreißiger Jahren einer der wichtigsten Gegenpole der extremen Rechten war.

In der DDR wurden Marktgesetze (in diesem Fall zum Glück) ignoriert, und natürlich mußte ein Soll an „Bruderliteratur“ übersetzt werden. So gab es ein schmales Bändchen mit den besten Gedichten von George Bacovia, darunter sein berühmtestes, „Blei“, das um die Jahrhundertwende in der rumänischen Literatur bahnbrechend wirkte; es gab den „Zigeunerroman“ von Zaharia Stancu („Solange das Feuer brennt“), der das Schicksal einer Gruppe von Roma in der Zwischenkriegszeit und im Zweiten Weltkrieg beschreibt; es gab eine Sammlung von Texten der rumänischen Avantgarde.

Im übrigen hat auch Rumänien seine Defizite bei Übersetzungen: Edgar Hilsenraths Roman „Die Nacht“, in dem die Deportation und Vernichtung der Juden aus der Moldau und der Bukowina unter dem profaschistischen Diktator Ion Antonescu beschrieben wird, wartet noch auf eine rumänische Ausgabe. Der Grund ist weniger der Markt, als vielmehr die Schwierigkeiten mit der Wahrheit. Keno Verseck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen