: Der Fuß ist das sensible Zentrum
■ Im Schatten des Berlin-Marathons hat sich eine Verkaufswelt von Sportartikelherstellern entwickelt: „Nur mit uns bist du schneller, ohne uns ein Loser.“
„Eigentlich ist der Berlin-Marathon ein Volksfest für die Läufer, die Zuschauer und die ganze Stadt“, sagt Horst Milde, Chef der Megaveranstaltung am Sonntag. Und Eberhard Diepgen, der sich beim Einlaufen der Stars und Allerweltsrenner für ein paar Minuten in Sportschuhe stürzt, ergänzt: „Der Lauf ist das größte Straßenfest der Stadt.“ Recht hat er. Auch beim 22. Berlin-Marathon wird den rund 17.000 Läufern und 177 Rollstuhlfahrern nicht nur das Blut in den Ohren sausen, sondern auch der Jubel und die Musik von Hunderttausenden an der Strecke.
An der Straße Unter den Linden wird getanzt, in Kreuzberg rüsten Jazzbands und Samba-Kids „zur musikalischen Botschaft“ auf, wie Bezirksamtssprecher Krautschik erklärt. Und daß Am-wilden-Eber-Platz mit „Bierduschen“ Stimmung gemacht wird, weiß jedes Kind. Die Läufer, die Streckendienste, die Fans und die Stadt feieren sich selbst bis in den späten Nachmittag.
Indessen. Im Schatten des 42 Kilometer langen Volksfestes haben sich in den vergangenen Jahren Kommerzwelten und Verkaufsshows von Sponsoren und Sportartikelherstellern eine Marathonmesse gebildet, die offensiv von der Vorbereitung bis zum Outfit der Läufer den Marathon mitbestimmen und Millionenumsätze machen.
Fast alles dreht sich dabei ums Bein und um den Fuß, die Blasenvermeidung und die Verkleidung der brennenden Sohlen. „Der Fuß ist das sensible Zentrum“, meint ein Adidas-Verkäufer. Die Marathonmesse mit rund 80 Ausstellern in der Deutschlandhalle nutzt der Sportartikelaussteller dazu, seine neueste Rennkollektion zu präsentieren. Wie Adidas erzeugen auch die anderen Firmen eine medialisierte Atmosphäre der Schnelligkeit, Mobilität und Jugendlichkeit, die suggeriert: „Nur mit uns bist du schneller – ohne uns ein Loser.“
Wer sich in der Deutschlandhalle seine Startnummer abholt, kommt dabei an den Running-Teams von Nike, Asics, Puma oder der Dreistreifenfirma schwer vorbei, die allesamt mit einer Sportschuhberatung oder der Schuhanalyse „Foot-Scan“ werben und für Plattfüßige den Speziallatschen mit Dämpfungssystemen bereithalten.
Die Messe ist vom früheren kleinen Schuh- und Sportmodemarkt zum Renndreßkaufhaus mit Spiel- und Showbizz-Einlagen aufgestiegen. Drei Tage lang können die Normalläufer sich heiß machen mit Talkauftritten und Videos der Superstars und sich ein wenig schneller fühlen. Wem bange wird, drücken Hostessen gleich Kraftdrinks von Red Bull oder Isostar in die Hand.
Die Vortäuschung größerer Leistungsfähigkeit durch Dopingmittel, aber auch der Fetisch der Mode hat nicht selten zum Ruin der Gesundheit von Dauerläufern geführt. So ist es nicht verwunderlich, daß auf den Kommerzboden des Berlin-Marathons sich nun Gesundheitsapostel und Pharmafirmen drängen, die mit Kräutern und Naturpräparaten werben. Die Leiden werden mit Tinkturen und Blütendämpfen kuriert. Auch Emil Zatopek soll ja bekanntlich nur Alkohol und Tee zu sich genommen haben. Das hat geholfen. Rolf Lautenschläger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen