Zahlen für Kola!

■ Nur Westgeld hilft gegen rostende Atom-U-Boote

Die Politik kommandiert die Gewehre – nach dieser Maxime wurde 70 Jahre lang bis zum bitteren Ende das Verhältnis der Staatsführung zum Militär in der Sowjetunion geregelt. Kann der Markt die Gewehre kommandieren?

Offensichtlich hatte die Regierung Tschernomyrdin derartiges im Sinn, als sie im Juni dieses Jahres Kraftwerken gestattete, ihre Lieferungen an militärische Einrichtungen einzustellen, wenn Bezahlung unterblieb. Daß die Stromerzeuger stillgelegten Atom-U-Booten auf der Halbinsel Kola Ende letzter Woche den Saft abdrehten, war also nicht nur marktgerecht, sondern sogar Rechtens.

Jetzt, nach der gerade noch abgewendeten Nuklearkatastrophe, soll die Politik doch wieder das Kommando führen. Laut Regierungs-Ukas muß der Strom weiter fließen, auch wenn, wie im Fall der Atom-U-Boot-Schrottverwaltung auf Kola, sich die Schulden auf 20 Milliarden Rubel summiert hatten. Aber damit sind die Finanzprobleme der Militärs so wenig gelöst wie die der Rüstungsindustrie. In den Ruinen des einst gehätschelten militärisch-industriellen Komplexes nisten auch heute noch Abermillionen schlecht und unregelmäßig bezahlter Werktätiger. Der Rüstungskonversion sind bislang enge Grenzen gesetzt. Von China lernen und gewinnträchtigem Nebenerwerb nachgehen (so produziert die Pekinger Wachdivision sinnigerweise Valium) ist mangels unternehmerischer Initiative nicht drin. Was früher vaterländische Pflicht war, nämlich der Ernteeinsatz der Wehrpflichtigen, wird jetzt zur Tagelöhnerei im Dienst des darbenden Militärapparats. Gute Aussichten für Schirinowski!

Natürlich wird der Westen nicht aus lauter Angst vor einer autoritären Wende das russische Militär sanieren. Aber die Drohung geht heute auch nicht von einem neuen russischen Expansionismus aus, nicht davon, daß die Militärmaschine sich nach Westen oder Süden in Bewegung setzt. Brandgefährlich ist die schiere, immobile Gegenwart des vor sich hin modernden, rostenden und strahlenden Waffenarsenals. Was ist die Schädigung von Mensch und Umwelt durch die französischen Atomtests gegen die laufende Umweltkatastrophe im Weißmeer, in Murmansk, um Nowaja Semlja?

Statt wie Chirac und seine Bonner Nachbeter von neuen russischen Bedrohungsszenarien zu fabulieren, sollten unsere Staatsleute die Gefahr dort sehen, wo sie mit Händen zu greifen ist. Sie sollten handeln. Und handeln, das heißt: zahlen. Christian Semler