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Ulbrichts gotisches Arbeiterparadies

Nationale Form, fortschrittlicher Inhalt: Ein Buch zum Wiederaufbau von 1945–1955 in Ostdeutschland  ■ Von Peter Walther

„Die Diskussionen, die über die Frage des Kampfes um eine neue deutsche Architektur geführt werden, haben gezeigt, daß unsere Genossen Architekten im allgemeinen große ideologische Schwächen haben“, befindet Kurt Hager 1951 mit Blick auf die Architekturdiskussion in der DDR. Das, was Hager als Diskussion anspricht, war freilich von langer Hand vorbereitet: Themen, Positionen, Autoren und Publikationstermine koordinierte das Zentralkomitee der SED. Hagers Unzufriedenheit mit den Architekten ist somit nicht nur als Drohgebärde, sondern auch als Teil jener öffentlichen Inszenierung zu verstehen, die Spielraum für unterschiedliche Lösungen vortäuschen sollte, wo das Ergebnis der „Diskussion“ längst feststand. Die Entwicklung von Architektur und Städtebau in der Ostzone und der späteren DDR von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Übergang zur industriellen Bauweise 1955 hat Jörn Düwel in einer materialreichen Studie untersucht. Bei seinen Recherchen kam dem Autor, der zu den Organisatoren der Berliner Ausstellung „Architektur und Stadtplanung 1940–60“ gehört, ein historischer Glücksfall zugute: Im allgemeinen Chaos, das die Institutionen in der DDR 1989/90 erfaßte, bekam er Einsicht in Bestände, die heute entweder aus rechtlichen Gründen unzugänglich oder aber mittlerweile verstreut sind.

Die ersten zehn Nachkriegsjahre Architektur und Städtebau im Osten Deutschlands waren nicht allein durch die Zwänge eines zügig angestrebten Wiederaufbaus geprägt, sondern vor allem durch die zunehmende Ideologisierung von Architekturtheorie und Stadtplanung. Die SED-Führung hatte der Architektur als öffentlichste aller Künste eine Führungsposition bei der Vermittlung ideologischer Wertvorstellungen zugemessen. Vorbild war die Architektur in der Sowjetunion: „Bei der Lösung der eigenen Aufgaben löst die sowjetische Baukunst zugleich die wichtigsten Probleme der Weltarchitektur“, betonte der Moskauer Chefarchitekt Alexander Wlassow auf dem ersten Architektenkongreß der DDR. Um dieser Auffassung wirkungsvoll Nachdruck zu verleihen, wurden die entsprechenden Kompetenzen nach sowjetischem Muster neu geregelt. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war die Entmachtung der Länder in ihrer Planungskompetenz durch die Bildung einer überregionalen, für die Sowjetzone zuständigen Hauptabteilung Bauwesen. Um noch direkter Einfluß nehmen zu können, bildete die SED 1953 die Abteilung Bauwesen beim Zentralkomitee. Diese Form der parallelen Organisation gab es in der DDR in allen gesellschaftlichen Bereichen: Neben den staatlichen Entscheidungsgremien, die zunächst nicht in jedem Fall von SED-Mitgliedern dominiert wurden, entstanden entsprechende Fachabteilungen im Parteiapparat der SED, die im Laufe der Zeit zu den eigentlichen Entscheidungsträgern wurden. Die neue Organisationsstruktur zielte somit, wie es in einem parteiinternen Manuskript unverhohlen heißt, auf „die Sicherung der führenden Rolle der SED im Bauwesen“. Egal, ob es um den Termin einer Ministerrede, um die Gründung des Architektenverbandes oder die Herausgabe einer Fachzeitschrift ging, immer wurde die Entscheidung von der ZK-Abteilung formuliert und vom Politbüro der SED abgesegnet, bevor sie als Weisung an die fachlichen Instanzen ging. Private Architekturbüros waren in den ersten Jahren nach dem Krieg in der sowjetischen Besatzungszone nach und nach von Planungskollektiven ersetzt worden, in deren Hand es nun lag, die strategischen Vorgaben der Partei umzusetzen. Düwel stellt seiner Schilderung des institutionellen Hintergrunds, der Entscheidungswege in Architektur und Städtebau der ersten Nachkriegsjahre eine profunde Darstellung der ideologisch-programmatischen Entwicklung zur Seite, die für den Wiederaufbau in Ostdeutschland maßgebend war. Während der ersten drei Nachkriegsjahre waren konzeptionelle Reglementierungen in der Architektur nicht notwendig, Neubauten gab es kaum, im wesentlichen wurde enttrümmert und ausgebessert. Dennoch war in der Ostzone die Frage virulent, in welchem Verhältnis nationale Bautraditionen und das sowjetische Vorbild künftig zueinander stehen würden. Eine öffentliche „Diskussion“ dieser Frage begann jedoch erst mit der Formalismus-Kampagne, mit der vor allem seit 1951 die verschiedenen Künste auf den sozialistischen Realismus eingeschworen werden sollten. Walter Ulbricht, Ehrenmitglied der Deutschen Bauakademie, entdeckte 1950 Parallelen zwischen den „hitlerischen Kasernenbauten“ und den „seelenlosen Kästen des amerikanischen Imperialismus“ in Westdeutschland. Der „formalistischen Ideenlosigkeit im Bauwesen, wie sie dem zum Untergang verurteilten Monopolkapital eigen ist“, sollte in der DDR eine Architektur entgegengesetzt werden, die sich auf nationale Bautraditionen stützt, „national in ihrer Form, fortschrittlich in ihrem Inhalt“. Als theoretische Grundlage dieses Bauens wurden im Sommer 1950 die „Sechzehn Grundsätze des Städtebaus“ vorgestellt, die als Ergebnis einer Reise deutscher Architekten in die Sowjetunion entstanden waren. Damit war die Richtung vorgegeben: „Vorrangige Aufgabe war es nicht mehr, Wohnraum zu schaffen, sondern repräsentative Stadträume“, konstatiert Düwel.

Als progressives Erbe, an das es anzuknüpfen galt, kam zunächst der Klassizismus und später – durch ein klärendes Wort von Ulbricht – auch die Gotik in Frage. Somit war zugleich eine lokale Ausdifferenzierung im Rückgriff auf historische Baustile möglich geworden, wie der Autor anhand von vier Fallbeispielen (Rostock, Saßnitz, Wolgast, Frankfurt/Oder) nachweisen kann. Von den repräsentativen Bauaufgaben, die in Berlin realisiert wurden, dem Hochhaus an der Weberwiese und der „ersten sozialistischen Straße“, der Stalinallee, ging eine Vorbildwirkung für den Rest der DDR aus. Hier wurden Grundentscheidungen exemplarisch durchgefochten, die später in anderen Städten nicht mehr zur Diskussion standen. Natürlich lief die Durchsetzung der ideologisch motivierten Grundsätze des Städtebaus trotz der rigiden Weisungsstruktur nicht ohne Widerspruch der Stadtplaner und Architekten ab. Düwel hat sich nicht nur auf die Auswertung von schriftlichen Quellen und Bauplänen beschränkt, sondern zahlreiche Zeitzeugen befragt. Auf diese Weise kann er Einblicke in persönliche Motive und biographische Zusammenhänge vermitteln, die für das Engagement von Leuten wie Kurt Liebknecht (Neffe von Karl Liebknecht), dem Gründungspräsidenten der Bauakademie, oder Hermann Henselmann oftmals entscheidend waren. Auch in diesem Punkt hat der Autor bei seinen Recherchen Glück gehabt. Liebknecht und Henselmann, beides zentrale Figuren für den Wiederaufbau in Ostdeutschland, stehen mittlerweile nicht mehr als Zeitzeugen zur Verfügung.

Jörn Düwel: „Baukunst voran! Architektur und Städtebau in der SBZ/DDR“. Mit einem Vorwort von Werner Durth. Verlag Schelzky & Jeep, Berlin 1995, 288S., 68 DM

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