Die Bildungspolitik reduziert sich auf Öffnen, Offenhalten und Wegsehen

Bildungspolitik? „Die existiert überhaupt nicht mehr!“ meint der ehemalige Vorsitzende des deutschen Wissenschaftsrats, Dieter Simon. Seiner Ansicht nach haben die Hochschulpolitiker von Bund und Ländern in den letzten drei Jahrzehnten ganze drei „bedeutende Entscheidungen“ zuwege gebracht.

Die erste fiel 1964. Damals machten gerade mal 60.000 SchülerInnen jährlich das Abitur. Ganze 300.000 StudentInnen bevölkerten Westdeutschlands Universitäten. Ein exklusiver Zirkel. Kein Wunder, daß einige Experten die „Bildungskatastrophe“ heraufziehen sahen. Immerhin gilt Bildung einer rohstoffarmen Nation als Exportschlager Nummer eins. Das Stichwort hieß „Öffnung der Hochschulen“. Neue Universitäten wurden gebaut, andere erweitert, das Personal wurde aufgestockt.

„Über inhaltliche Fragen oder substantielle Folgen dieser Maßnahmen“, so Simon, „machte man sich keine Gedanken.“

Spätestens 1977 wurden die Folgen dieser Politik sichtbar. Inzwischen studierten 850.000 Studiosi an den westdeutschen Hochschulen. Pro Jahr kamen 180.000 StudienanfängerInnen hinzu. Schon damals warnten die Universitäten, sie seien dem Run nicht mehr gewachsen. Und bei Bund und Ländern machten sich die finanziellen Belastungen bemerkbar. Damals wollte die Politik das Bürgerrecht auf Bildung jedoch noch nicht in Zweifel ziehen. An die Adresse der Hochschullehrer erging ein „Durchhalteappell“. „Die Hochschulen“, so Simon, „sollten die Zähne zusammenbeißen und für einige Jahre mit der Überlast leben.“ Reformen sollten nicht stattfinden. Immerhin ging man ja davon aus, daß sich die Verhältnisse an den Hochschulen wieder normalisieren würden.

Den „hochschulpolitischen Schlußakkord“ (Simon) setzten Kanzler Kohl und die Ministerpräsidenten der Länder im Jahr 1993. Inzwischen war die Zahl der StudentInnen im vereinigten Deutschland auf rund 1,9 Millionen angewachsen – Tendenz steigend. Von einer Rückkehr zu früheren Verhältnissen konnte keine Rede mehr sein. „Bildungsgipfel“ hieß volltönend das von Kohl entdeckte Rezept. Zweimal traf der Kanzler mit den Ministerpräsidenten zusammen, am 11. November 1993 und am 26. Dezember 93. Das Ergebnis: Taten – sprich, Reformen – waren nicht mehr gefragt, es sei denn, sie kosteten nichts. Simons Fazit: „Im Zeitraffer reduziert sich die gemeinsame Hochschulpolitik des Bundes und der Länder demnach auf die Stichworte Öffnen, Offenhalten und Wegsehen. Man könnte es auch Bankrott nennen.“ flo