Die Diva der Trailer-Parks

■ Das letzte Wort gehört natürlich ihr: Ab heute zeigt Pro 7 werktags um 19 Uhr die US-Sitcom "Grace"

Die Problemfälle häufen sich. Es gibt Exalkoholiker im steten Kampf gegen den Rückfall, inkontinente Senioren, Familien mit Minimaleinkommen, Finanzhaie, Unterprivilegierte aus den verrufensten Schwarzenghettos von Los Angeles. Sie alle sind ProtagonistInnen ausgerechnet von Situation Comedies, zumeist Serienproduktionen der jüngeren Generation. Dazu zählen Titel wie „Eine schrecklich nette Familie“ (RTL) und „Roseanne“ (Pro 7), „Nachtschicht mit John“ (Kabel 1) oder „South Central“.

Das Sitcom-Genre ist beileibe nicht so harmlos, wie es bei nur oberflächlicher Betrachtung scheinen mag. Immerhin ergötzte sich das US-Fernsehpublikum elf Jahre lang an der Serienversion der Kriegssatire „M.A.S.H.“, deren traurige Erkennungsmelodie „Suicide Is Painless“ nicht gerade auf Lachsalven schließen ließ. Auf 20 Jahre Laufzeit brachte es der Dauerbrenner „All in the Family“, die US-Variante von „Ein Herz und eine Seele“, im Tonfall so rüde, direkt und gemein wie Meister Volksmund persönlich und damit ein vehementer Anschlag auf die dominierenden Heile-Welt-Serien. Seit dem Erfolg von „All in the Family“ ist der Bildschirm für die Unterschicht nicht mehr tabu.

In jüngerer Zeit behalten immer häufiger Frauen das letzte Wort. Titelheldinnen wie „Roseanne“ oder „Grace“ (Originaltitel „Grace Under Fire“) unterscheiden sich zwar durch ihre Schlagfertigkeit vom gemeinen Volk, haben sich aber den gleichen Problemen wie die fernsehenden Durchschnittsmenschen zu stellen. Die Hauptfigur der in Deutschland neu anlaufenden Sitcom „Grace“ trägt zwar den schönen Namen Grace Kelly, doch wird ihr Leben keineswegs vom Glamour bestimmt. „Ich habe zwar noch keinen ,Oscar‘ gewonnen“, anwortet die Serienfigur lakonisch auf eine diesbezügliche Frage, „aber ich bin eine wesentlich bessere Fahrerin.“

Grace ist Mutter dreier Kinder und seit kurzem alleinerziehend. „Bei unserer Hochzeit geriet mein Ex in einen Streit mit dem Akkordeonspieler. Das war das erste Anzeichen, daß ich möglichweise die falsche Wahl getroffen hatte“, erzählt sie, während sie den Kopf des Verflossenen aus dem Hochzeitsfoto ausschneidet und nacheinander durch einen Affen, ein Babygesicht und ein Hitlerporträt ersetzt. Auf ihrer Arbeitsstelle in einer Ölraffinerie wird sie gefragt: „Wie lange liegt Deine Scheidung jetzt zurück?“ Lächelnd erklärt sie: „Ungefähr sechs Monate. Aber das war weniger eine Scheidung – die Trennung von einem Redneck entspricht eher einer ethnischen Säuberung.“

Die Hauptdarstellerin Brett Butler bringt, und das liegt durchaus in der Absicht der ProduzentInnen, persönliche Erfahrungen in die Rolle ein. In Interviews äußerte sie sich freimütig über diese Dinge, ihre schwere Kindheit, ihre zurückliegende Alkoholabhängigkeit, die während ihrer dreijährigen Ehe erlittenen Mißhandlungen. All das kommt auch in den Serienepisoden zur Sprache. „Sie sagt Dinge über Männer, Ehegatten und Mutterschaft, die das Fernsehen bislang lieber vermied“, schreibt das Time Magazine. Butler selbst und die Kunstfigur Grace haben Symbolkraft bekommen. „Sie ist eine Frau der Neunziger“, zitiert die Zeitschrift TV Guide einen weiblichen Fan, „sie geht vor niemandem in die Knie, und das gefällt mir.“

Brett Butler kam, wie vor ihr Roseanne Barr, Ellen Degeneres und auch viele männliche Kollegen, von der Kabarettbühne zum Fernsehen. Sie begann als Amateurin, als „Trailer-Park-Diva“, wie sie selbst sagt, während sie hauptberuflich als Serviererin arbeitete. Gut 4.000 Auftritte hatte sie absolviert, bevor sie durch Gastauftritte in der „Tonight Show“ und durch ein Comedy- Special auf dem Kabelkanal Showtime weithin bekannt wurde. Zeitweilig schrieb sie Sketche für Dolly Partons TV-Show. In der Herbstsaison 1993 startete ihre eigene Serie „Grace Under Fire“, die von der Kritik positiv aufgenommen wurde – TV Guide wählte sie zur „Best New Sitcom of the Year“ – und zudem exzellente Quoten erzielte. Nach internen Auseinandersetzungen hat sich Brett Butler innerhalb der Produktion mittlerweile eine maßgebliche Position erkämpft. Sie nimmt Einfluß auf die Skripts und zeichnet nunmehr als Produzentin mitverantwortlich für die Show. Die nächsten Karriereschritte sind bereits abzusehen – ein Vertrag über ein Buch ist abgeschlossen, und Hollywood hat auch schon angeklopft. Harald Keller