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Lücken, Unklarheiten und Widersprüche

Das Ergebnis der Bosnienkonferenz sorgt für neuen Streit zwischen den Konfliktparteien  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Als wesentlichen Fortschritt auf dem Weg zu einer Friedenslösung priesen Regierungspolitiker aus den USA und Westeuropa gestern die in New York von US-Unterhändler Richard Holbrooke vermittelte Einigung über über Grundprinzipien einer künftigen Verfassung Bosniens. Das Dokument, dem die Außenminister Bosniens, Serbiens und Kroatiens lediglich mündlich zustimmten, läßt allerdings einige wesentliche Fragen offen. Unklare und interpretationsfähige Formulierungen überdecken dabei die grundlegenden Widersprüche zwischen den Konfliktparteien. Bei ihrem ersten Treffen am 8. September in Genf hatten die drei Außenminister die rechtliche Weiterexistenz des Staates Bosniens sowie die Aufteilung des Landes in zwei „Einheiten“ vereinbart: der muslimisch-kroatischen Föderation mit 51 Prozent des Territoriums und der „Serbischen Republik“ mit 49 Prozent, jeweils mit einem eigenen Parlament. Die New Yorker Vereinbarung legt nun fest, daß auch der Gesamtstaat nur ein Parlament haben soll sowie einen Präsidentschaftsrat und einen Verfassungsgerichtshof. Die Mitglieder von Parlament und Präsidentschaftsrat sollen jeweils zu zwei Dritteln von den Bewohnern der Föderation und zu einem Drittel von denen der „Serbischen Republik“ gewählt werden, entsprechend der 1991 festgestellten Bevölkerungsstruktur (Serben 31 Prozent, Muslime 44 Prozent und Kroaten 18 Prozent). Die komplizierten Mechanismen für Entscheidungen von Parlament und Präsidentschaftsrat laufen auf eine Sperrminorität bzw. Vetomöglichkeit für die „Serbische Republik“ hinaus und bergen die Gefahr der Dauerblockade dieser Institutionen. Zwar bedarf es für Entscheidungen in beiden Institutionen nur der einfachen Mehrheit ihrer Mitglieder. Im Parlament muß zugleich jedoch jeweils mindestens ein Drittel der Abgeordneten aus der „Serbischen Republik“ und der muslimisch-kroatischen Föderation zustimmen. Wenn im Präsidentschaftsrat ein Drittel der Mitglieder einen Beschluß mit der Begründung ablehnt, daß der Beschluß die „vitalen Interessen“ der „Serbischen Republik“ oder/und der muslimisch-kroatischen Föderation berührt, kann das Parlament der „betroffenen“ Einheit den Beschluß nur mit einer Zweidrittelmehrheit überstimmen. Um die Vetomöglichkeiten ausschöpfen zu können, dürften Serbenführer Radovan Karadžić und sein General Ratko Mladić alles daran setzen, ihre künftige „Republik“ und damit das gewählte Drittel der Mitglieder von Parlament und Präsidentschaftsrat möglichst „ethnisch rein“ zu halten. Die Rückkehr vertriebener Muslime und Kroaten ließe sich so verhindern.

Vor allem aus diesem Grund forderte Bosniens Außenminister Sacerby nach Abschluß des New Yorker Treffens, daß Karadžić und Mladić noch vor allen Wahlen an das Den Haager Kriegsverbrechertribunal ausgeliefert werden. Die Vereinbarung entkält keinen konkreten Zeitpunkt für die Wahlen zu den beiden Institutionen. Sie sollen erst erfolgen, wenn eine internationale Beobachtergruppe festgestellt hat, daß eine Wahl möglich und „effektiv“ ist. Diese Bestimmung dürfte nach Unterzeichnung eines Friedensabkommens Turbulenzen hervorrufen.

Die jetzige Vereinbarung hält lediglich fest, daß Parlament und Präsidentschaftsrat die Zuständigkeit für die Außenpolitik Bosniens haben sollen. So ist beispielsweise ungeklärt, ob nur der Gesamtstaat oder auch seine beiden „Einheiten“ militärische Verbände unterhalten dürfen.

Die bosnische Regierung konnte auch ihre Forderung nicht durchsetzen, die Möglichkeit zur Sezession in den Verfassungsprinzipien ausdrücklich und auf unbefristete Dauer auszuschließen. Damit bleibt den Serben die Möglichkeit, die Abspaltung ihrer Republik von Bosnien entsprechend den Bestimmungen des Völkerrechts zu betreiben.

Keinen Fortschritt brachte das New Yorker Treffen in der Frage eines Waffenstillstandes. Der Chef der bosnischen Regierungsarmee Rasim Delić kündigte die Fortsetzung der Offensiven in Bosnien an. Der Krieg werde „erst dann beendet sein, wenn im gesamten Land ein gerechter Frieden hergestellt ist und die Vertriebenen in ihre Heimat zurückkehren“.

Die genaue Gebietsaufteilung in Bosnien und die Lösung des serbisch-kroatischen Konflikts um Ostslawonien sind weitere Hürden im Verhandlungsprozeß.

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