Kommentar (s.S. 22): Der Staat ist jeck
■ Libretto fatale, röntgen SIE den Staat!
Das ist Behördenwirtschaft, wie man sie sich im Kabarett wünscht: Das Ausländeramt informiert die Kripo, daß da Schwarze als „Jugendliche“ in den Akten sind, die wie Erwachsene aussehen und nicht in die teure betreute Jugend-Unterkünfte mit Amtsvormundschaft kommen. Die Sondereinheit der Kripo übernimmt, sie übergibt den Fall der Staatsanwaltschaft, die wegen des Verdachts der „Falschbeurkundung“ dem Gericht, das ordnet Röntgen-Gutachten an. Die Ärztekammer sagt, daß diese Methode umstritten sei das zwangsweise Röntgen der Standesethik widerspreche. Der Bürgermeister und Justizsenator rechtfertigt das Verfahren des Zwangsröntgens in der Bürgerschaft. Die Kripo führt die Betroffenen zum Röntgenarzt, der begutachtet, wie verlangt, weil er an die Rationalität des Staates glaubt.
Und dann sprechen die Gerichte die Zwangsgeröntgten vom Vorwurf der „Falschbeurkundung“ frei. Und das Amt für Soziale Dienste sagt, die Röntgenaufnahmen interessieren sowieso nicht: Erstens kann das Sozialamt auch ohne das Röntgen-Gutachten einen Asylbewerber als „Erwachsenen“ einstufen. Zweitens, wenn einer als „jugendlich“ in den Akten ist, bleibt er das, auch wenn das ärztliche Gutachten das Gegenteil sagt – solange die Sozialbehörde es will.
Was uns das lehrt? Manchmal ist die Wirklichkeit noch irrer. „Libretto fatale“, röntgen SIE den Staat! Klaus Wolschner
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