: Kalter Krieg zwischen Nölle und Scherf
■ Haushälter sollen Scherfs Finanzpolitik rügen / Dezentrale Verantwortung gescheitert?
Die neue Bremer Landesregierung ist noch keine drei Monate alt, da herrscht schon kalter Krieg hinter den Kulissen. „Offensichtlich in unverantwortlicher Unkenntnis“ habe das Bildungsressort gewirtschaftet, stellt das Finanzressort in einer Beschlußvorlage für den Haushaltsausschuß fest. Für die Kritik des Finanzressorts verantwortlich: Bürgermeister Ulrich Nölle. Für die Mißwirtschaft bei Bildung: sein neuer Freund, Bürgermeister Henning Scherf.
„Eklatant“ habe das alte Scherf-Ressort in den ersten Monaten dieses Jahres „gegen bestehendes Haushaltsrecht verstoßen“, schreibt der Finanzsenator. Thema der bösen Polemik: Zu Ende August hatte das Bildungsressort 15 Millionen für Investitionen ausgegeben. 11 Millionen hätte es ausgeben dürfen. Das bedeutet eine Überschreitung von ca. 25 Prozent. Offenbar hat die Bildungsbehörde das bis zum Schluß selbst nicht gemerkt. Jedenfalls ist der Deputation, die die Ausgaben beschlossen hatte, nicht mitgeteilt worden, daß das Geld eigentlich gar nicht da ist. Im Gegenteil: Im Juni noch wurde erklärt, man sei im Plan.
Und auch dem Finanzressort seitdem wurde nichts gesagt: „Eine Ergänzung durch aktuelle Zahlen wurde nicht vorgenommen.“ Noch am 15. April hatte der Haushaltsausschuß dem Bildungsressort die Verantwortlichkeit über die Finanzen nur unter einer Bedingung anvertraut: „Durch ein geeignetes ressortinternes Controlling ist sicherzustellen, daß das verfügbare Ausgabevolumen nicht überschritten wird.“ Offenbar haben die Finanzer vorsichtshalber im Hintergrund doch noch mitkontrolliert – und sind so auf die Etat-Überschreitungen gestoßen. Und das Finanzressort mußte „nach Rückfrage im Ressort“ feststellen, daß „mit weiteren Ausgabe-Überschreitungen zu rechnen“ ist, stellt das Nölle-Papier fest. Wobei der Senat doch eigentlich für den Herbst Kürzungen beschlossen hat, die in diesem Investitions-Bereich allein 1,9 Millionen betragen.
Der Finanzsenator will heute in der Sitzung des Haushaltsausschusses erreichen, daß das Finanzgebaren von Ex-Bildungssenator Scherf vom Haushaltsausschuß ausdrücklich mißbilligt wird. Zudem soll der neuen Senatorin Bringfriede Kahrs aufgegeben werden, innerhalb von vier Wochen zu erklären, wie die Mehrausgaben wieder eingespart werden können. Gleichzeit hat das Finanzressort in seinem Controlling aber schon festgestellt, daß ein Ausgleich der Mehrausgaben durch Einsparungen bei anderen Bildungs-Investitionen 1995 de facto nicht möglich sein würde.
Der Streit hat einen grundsätzlichen Hintergrund: Die „dezentrale Ressourcen-Verantwortung“, ein Eckpfeiler der von Scherf als Regierungsprogramm verkündeten Verwaltungsreform, ist in seinem eigenen Verantwortungsbereich als Modellfall gescheitert. Nölle will heute im Haushaltsausschuß erreichen, daß diese Dezentralisierung der Finanz-Verantwortung zurückgenommen wird. Und: „Der Haushaltsausschuß verpflichtet den Senator, ihm monatlich, erstmalig am 5.Oktober 1995, eine Übersicht...“ vorzulegen. Das ist wie ein Kind, das nicht mit Geld umgehen kann und deshalb täglich die Taschen vorzeigen muß.
„Knebelung“ nennt es die Sprecherin der Bildungsbehörde und verweist darauf, daß ja zusätzliches Geld in einem Stadtreperatur-Topf zur Verfügung gestellt werden sollte. Aber diesen Topf gibt es bisher nur als Idee, Geld ist noch nicht drin und keinerlei Entscheidung, wer es ausgeben darf. Um ein effektives Finanzcontrolling zu erreichen solle intern geklärt werden, warum es bisher nicht geklappt hat.
Zwei Wochen nach dem Rüffel-Brief aus dem Hause Nölle (datiert 12.9.) bekam der Finanzsenator Nölle aus dem neuen Hause Scherf (Rathaus) einen derben Rüffel-Brief zurück. So, wie der Finanzsenator sich den Haushaltsplan 1995/96 vorstelle, gehe es nicht, steht da im ordentlichen Behörden-Deutsch: „dieses Papier (wird) den in den Koalitionsvereinbarungen beschriebenen Rahmenbedingungen zur dezentralen Ressourcen-Verantwortung nicht im geringsten gerecht“, kritisiert Scherfs Senatskanzlei. Der Verfahrens-Vorschlag aus dem Hause Nölle könne so nicht beschlossen werden (zu deutsch: Papierkorb), er müsse, so Scherfs Staatsrat, „den notwendigen Anforderungen an eine flexiblere und damit auch ökonomischere dezentrale Steuerung der begrenzten Haushaltsmittel angepaßt werden“. K.W.
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