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Wohin rollt die Bundesrepublik?

Das Land der Dichter und Lenker muß sich wieder auf seine Tugenden und Schönheiten besinnen, also Gas geben und durchstarten auf deutschen Straßen mit Kultur satt  ■ Von Rüdiger Kind

Arg häufen sich die Klagen der Autoindustrie: Drakonische Sommersmogverordnungen und ein zunehmend autofeindliches gesellschaftliches Klima vergraule die Käufer und treibe sie in die Fänge dubioser Autogegnervereinigungen.

Kann es sich aber ein Land, in dem jeder 3. Arbeitsplatz von der Autoindustrie abhängt, überhaupt leisten, der seit Jahren währenden Verteufelung des „Knalltreibers“ (A. Hitler) Auto weiterhin tatenlos zuzusehen? Wohl kaum! Das Land der Dichter und Lenker muß sich wieder auf seine Tugenden besinnen: Gas geben und durchstarten. Was läge da näher als eine gemeinsame „Kulturoffensive“ deutscher Auto- und Tourismusplaner. Strategische Partnerschaften zwischen High-Blech und Hochkultur könnten für die Mobilbranche der Ausweg aus der Misere sein. Synergieeffekte, Image-Transfer und Corporate Debility heißen demnach die Trends der Stunde.

Der fortgeschrittene Ausbau touristisischer Routen in Deutschland belegt, daß die Überlegungen der Macher schon weit gediehen sind. Von A wie Ahr-Rotweinstraße bis W wie Wittgensteiner Kirchentour fährt der deutsche Autofahrer schon jetzt kulturell und historisch abgefedert durchs Land.

Auch die Zuschauer im neuen Eisenacher Stadttheater, übrigens das erste Thater mit direkter Autobahnanbindung, staunten nicht schlecht, als während der „Weltpremiere“ von Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ der Schweizer Freiheitsheld Ungewohntes deklamierte: „Durch diese Einbahnstraße muß er kommen, es führt kein andrer Weg nach Rüsselsheim.“ Als Landvogt Geßler dann auch noch im lindgrünen Opel Astra von der Hebebühe rollte und in fünfgängigen Jamben daranging, die Vorzüge des Kadett-Nachfolgers en détail vorzuführen, verließen einige puristische Theaterfreunde mit zornesrotem Kopf das Parkett. Sie mochten es nicht hinnehmen, daß die geringfügigen Aktualisierungen, die die künstlerischen Intentionen Schillers jedoch kaum beeinträchtigen, dem schnöden Gewinnstreben einer Autoschmiede dienstbar gemacht wurden.

Doch der überwältigende Erfolg der Aufführung – allein 280 Bestellungen für den flotten Kompakten wurden während der Pause von den Opel-Hostessen entgegengenommen – zwang auch die Konkurrenz aus Wolfsburg zum Umdenken. Eine eilends in Auftrag gegebene Neuinszenierung des Goetheschen „Golf – der Tragödie 3. Teil“ mit einer dramaturgisch geschickt eingearbeiteten Erwähnung der Rücknahmegarantie und des verbesserten Flankenschutzes sollte dem Klassiker aus dem Hause Volkswagen zu besseren Verkaufszahlen verhelfen.

Da die Niedersachsen ihre Autos nicht nur an Deutschlands Studienräte verhökern wollen, steigen sie gleichzeitig in Sponsoring von Rockbands wie Genesis, Pink Floyd oder den Rolling Stones ein. Gelang es ihnen einerseits, mit Mick Jaggers „I can't get no satisfaction. I can't get no car in traction“ vom biederen Image loszukommen und bei der jugendlichen Kundschaft Punkte zu sammeln, drohen die harten Töne auf der anderen Seite Leute wie den Volksmusikfan Herbert F. zu vergraulen, der sich nicht dazu entschließen mochte, einen Passat aus der „Voodoo-Lounge“-Sonderserie zu bestellen. Eine fast aussichtslose Zwickmühle, aus der sich der Konzern in Zukunft durch die Förderung von Kulturgrößen mit geringerem Konfliktpotential herausmanövrieren will.

Ein weiteres Problem beim Kultursponsoring gewinnt zunehmend an Brisanz: Die schönen Tage von Neuschwanstein sind wohl endgültig vorbei, nachdem Unternehmen mit schlichtem Product placement in Film und Fernsehen auf sich aufmerksam machen. Der Kunde ist anspruchsvoller geworden und verlangt eine plausible Einarbeitung des Produkts in den künstlerischen Kontext.

Notwendig geworden ist die „Cultural Identity“, weil sich die Produkte in Funktion, Qualität und Optik immer mehr gleichen. Die Großen der Kunst können da helfen, Beliebiges unverwechselbar zu machen. Gefragt sind deshalb unzerstörbare Mythen, in deren Windschatten noch am ehesten der Kommerz gedeiht – unkaputtbar wie Mozart. „Wir wollen unser Produkt in ein attraktives Umfeld stellen“, begründet Shells Marketingdirektor Wolf Bednorz denn auch das Engagement seiner Firma bei der Produktion einer 256teiligen TV- Raststättensaga „Tankwärter Thiel“, die zur Zeit nach Motiven von Gerhart Hauptman abgedreht wird. Auch andere deutsche Autobauer sind momentan fieberhaft dabei, ihre Claims im Reich des Wahren, Schönen, Guten abzustecken:

– Mercedes Benz setzt, ganz im Stil des Hauses, auf die gepflegte Langeweile mehrstündiger Avantgardekonzerte. Die „Symphonie in ABS-Dur für obenliegende Nockenwelle, 34 Ventile und Scheibenwischermotor“ des jungen Dortmunder Komponisten Markus Weber wird sicher zu den Höhepunkten der diesjährigen Schwetzinger Festspiele zählen.

– Ford geht im Hinblick auf die Bedürfnisse seiner Kundschaft natürlich etwas hemdsärmeliger zu Werke und hat mit „Wendekreis des Scorpios“ eine Henry-Miller- Verfilmung in Auftrag gegeben, die nicht nur in Automobilistenkreisen Furore machen wird. Ob das außerdem von der Kölner Autoschmiede geplante Remake eines Hitchcock-Klassikers „Bei Anruf Ford“ allerdings im Verkehrsministerium auf Gefallen stoßen wird, scheint mehr als fraglich. Regisseur Frögler läßt nämlich in dem Asphaltthriller einen psychopathischen Amokfahrer mit einem tiefergelegten Capri eine sechzehnköpfige Radwandergruppe platt walzen...

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