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Zeitschaltkultur

■ Auch der Kultursender 3sat programmiert seine Sendungen jetzt im täglich wiederkehrenden "Nullschienenformat"

Ab Sonntag wird bei dem öffentlich-rechtlichen Kulturkanal 3sat täglich gestrippt. Doch „Stripping“ heißt im Fernsehen leider nicht, daß sich 3sat-Moderator Helmut Focus Markwort nun in seiner Talkshow zu lasziven Klängen auszieht. „Stripping“ bedeutet, daß Sendungen zur halben und vollen Stunde beginnen, um so den Zuschauern das Einschalten zu erleichtern. Denn ein Sendetermin um acht oder halb neun läßt sich eben leichter merken. Während bei ARD und ZDF so seltsame Sendezeiten wie 17.55 Uhr („Verbotene Liebe“, ARD) oder 21.45 Uhr („heute journal“, ZDF) erinnert werden müssen, haben die meisten Privatsender ihr Programmschema schon lange auf den 30-Minuten-Takt umgestellt.

Auch bei 3sat beginnen ab Sonntag wenigstens in der Prime time fast alle Sendungen zur vollen oder halben Stunde. Denn der Sender hat sich ein neues Programmschema gegeben. In schönster öffentlich-rechtlicher Qualitätsprosa heißt es in einer Pressemitteilung: „Grundlage für alle Reformen bleibt der ,3sat-Gedanke‘ eines integrierten Qualitätsprogramms des deutschen Sprachraums, das die Kompetenz von vier Partneranstalten bündelt, um die kulturelle Vielfalt seiner drei Herkunftsländer Deutschland, Österreich und Schweiz für ein europäisches Fernsehpublikum zeitgemäß darzustellen.“ Die wichtigsten Neuerungen bei 3sat außer dem neuen Sendeschema: ein neues Senderdesign und das tägliche Kulturmagazin „Kulturzeit“.

Für Kultursender wie 3sat oder arte gibt es im deutschsprachigen Raum nur ein begrenztes Publikum. Marktforscher haben ermittelt, daß etwa vier Prozent der Deutschen fast ausschließlich Kulturprogramme sehen wollen, zwölf Prozent der Zuschauer gelten als im weitesten Sinne kulturinteressiert. 3sat hat in den vergangenen Jahren einen Marktanteil von 1,3 bis 1,5 Prozent erreicht. Das sind zwischen 500.000 bis 800.000 Zuschauer, was 3sat-Redakteur Armin Conrad für eine „erfreuliche Bilanz“ hält. arte schalten in der Prime time zwischen 200.000 und 300.000 Menschen ein.

Jetzt will sich der öffentlich- rechtliche Spartenkaal 3sat, auf dem ARD, ZDF, der österreichische ORF und das Schweizer Fernsehen vorwiegend ihre Eigenproduktionen recyceln, den veränderten Einschaltgewohnheiten der deutschsprachigen TV-KonsumentInnen anpassen. Und die schalten sich immer seltener für eine bestimmte Sendung ein, sondern – wie beim Radio – eher für ein besonderes Format. Darum hat 3sat neuerdings sogenannte „Leisten“ im Programm: Wer zum Beispiel an einem beliebigen Tag der Woche zwischen 17.15 und 18.15 Uhr bei 3at vorbeizappt, den erwartet immer ein Ratgebermagazin – an verschiedenen Tagen unter anderem zum den Themen „Essen“, „Hobby und Reisen“ oder „Heim und Herd“ (sic!).

Direkt anschließend folgt eine weitere Leiste mit Kinderprogrammen. Ebenfalls als Leiste konzipiert ist die neue Sendung „Kulturzeit“. Das neue Kulturmagazin, das an jedem Werktag zwischen den 3sat-Übernahmen „heute“ und „Tagesschau“ kommt, ist eine der wenigen Eigenproduktionen des Senders. Die Sendung wird von einer gemeinsamen Redaktion aller vier 3sat- Partner produziert, die beim ZDF in Mainz sitzt. Die Themenauswahl von „Kulturzeit“ soll das gesamte Spektrum zwischen Hochkultur, Alltagskultur und Avantgarde abdecken. Als Themen denkt man neben klassischen Feuilletonsujets wie Kunst, Theater und Musik auch zum Beispiel an das Internet oder Gehirnforschung. Außerdem sollen Kulturpromis wie Ralph Giordano Kommentare liefern.

Moderiert wird „Kulturzeit“ ganz paritätisch von einer Österreicherin, einer Schweizerin und einem Deutschen: Andrea Schurian kommt vom ORF, der schon länger das tägliche Kulturmagzin „Zeit im Bild“ im Programm hat. Gert Scobel hat vor einigen Jahren die Sendung „Kultur Plus“ bei dem inzwischen eingestellten Kanal Eins Plus moderiert. Karin Müller aus der Schweiz hat noch keine Fernseherfahrung. Die 30jährige kommt vom Schweizer Radio DRS-3 und legt außerdem als DJ Curlee Key in der Züricher Diskothek „Kanzlei“ House Music auf.

Ebenfalls neu ist das Senderdesign, mit dem sich 3sat ab morgen schmückt. Bisher war das Erscheinungsbild von 3sat im Vergleich zu den avantgardistischen Trailern von arte eher klassisch, nun will man „abwechslungsreicher, moderner, farbiger, lebendiger und zuschauerfreundlicher“ auf den Bildschirm kommen. Dafür fallen die Programmansagen weg.

Außerdem kann man ab morgen im 3sat-Videotext Computerkunst bewundern. Auf den VTX- Seiten 580 ff. wird jeden Monat ein neues Kunstwerk „ausgestellt“, im Oktober zum Beispiel ein Werk des Malers Werner Berger. Der Film „Die Bildschirmgalerie“ (nächsten Dienstag um 15.30 Uhr) zeigt, wie die Künstler Susi Kramer und Alfonso Hüppi ihre Bildschirmseiten gestaltet haben. Tilman Baumgärtel

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