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Glaube an die Alten

Durch den Champions-Trophy-Erfolg sieht Bundestrainer Lissek sein Hockey-Konzept bestätigt  ■ Von Maren Becker

Von Carsten Fischer gibt es ein Bild von der Siegerehrung in Barcelona. Die deutschen Hockeyspieler stehen nach dem Olympia-Sieg ganz oben auf dem Podest, alle umarmen sich. Nur Fischer paßt nicht ins Bild. Der steht da, starr wie eine Säule. Um den Hals baumelt die Goldmedaille, die Hände drücken einen Blumenstrauß an die Brust, das Flutlicht poliert seinen blanken Kopf. „In diesem Moment“, sagt Fischer, „guckst du nur in dich rein.“ Was gibt es für einen Amateursportler größeres, hat er sich damals gefragt, als die Goldmedaille bei Olympia? Nach 229 Länderspielen hatte Fischer also gesagt: „Ich hör' auf.“

Bei der Champions Trophy in Berlin ist Fischer nun zurückgekehrt. Drei bereits ausgemusterte Nationalspieler sind ihm gefolgt. „Alle Reaktionen waren skeptisch“, sagt Paul Lissek, der Bundestrainer. Was will denn der Lissek plötzlich mit den Alten? Fischer ist 34, Dirk Brinkmann (31) schlotet Zigaretten wie ein Schornstein, sein Bruder Thomas (26) war lange Zeit sehr krank. Und der 27jährige Stefan Salinger, so heißt es, sei launisch wie eine alternde Diva. Journalisten aus Pakistan haben im Hockey-Olympiastadion zu Charlottenburg gejuxt: Der Lissek, der Unbesiegbare, ist ein Jahr vor Atlanta in Panik geraten. Leichte Häme ergoß sich bereits über Lisseks Haupt, als die deutsche Mannschaft im ersten Spiel nur ein 0:0 gegen Indien (Turnierfünfter durch ein 2:2, 6:5 im Siebenmeterschießen gegen England) zusammengebracht hatte. „Da haben sie mich gefragt“, erzählt Lissek, „wie lange machst du das mit dem Experiment noch.“ Bereits vor dem sonntäglichen Finale der Trophy gegen Australien (nach Redaktionsschluß) aber waren die Kritiker der eiligen Personalrochaden vorerst verstummt. Pakistanis inklusive. Die mußten nämlich gegen die Niederlande gestern um Platz 3 spielen (2:1). Mit Fischer als Abwehrchef hatte die deutsche Auswahl am Samstag den Weltmeister mit 1:0 geschlagen und war somit als einzige Mannschaft in den fünf Vorrundenspielen ohne Gegentreffer geblieben. Das hatte zuvor in der Geschichte jenes Wettbewerbs, der die besten sechs Teams der Welt versammelt, noch keiner geschafft. Mehr noch: „Selten hat eine deutsche Mannschaft so hochverdient gegen Pakistan gewonnen wie heute“, schwärmte der Bundestrainer hinterher. Und Carsten Fischer, der Spezialist für kurze Ecken, war selbstredend beteiligt an jener brandneuen Variante, die schließlich durch den Mülheimer Klubkollegen Sven Meinhardt zum 1:0 führte (62.).

Der psychologische Effekt, auf den Lissek mit der Rückkehr des bulligen Kahlkopfes Fischer gehofft hatte, ist eingetreten. Die Alten, sagt Lissek, geben den jungen Spielern ihre Sicherheit zurück. Es ist aber auch so, daß der Nationalcoach in den vergangenen Monaten eine sichtbare Kehrtwendung von seinem jahrelang propagierten Jugendstil vollzogen hat. Nach der Goldmedaille in Barcelona hat Lissek, der dreimal mit den Junioren Weltmeister geworden war, noch von der guten Nachwuchsarbeit im Verband geschwärmt. Zwei Monate nach dem Gewinn der EM in Dublin muß im Religionslehrer aus Limburg aber der Glauben gewachsen sein, daß seiner Rasselbande („die sind alle zu brav“) ohne die alten Haudraufs der Atem bis Olympia ausgeht. Als nächsten Spieler will Lissek nun den 92er Gold-Torwart Michael Knauth zurückholen.

Seit Barcelona, sagt der Bundestrainer, habe er 64 Spieler getestet. 48 von ihnen wird er vor Atlanta den Laufpaß geben. Nicht anzunehmen, daß Fischer dazugehören wird. Während der Champions Trophy hat der gesagt, daß alle nur darauf warten würden, „daß ich einen Fehler mache“. Bis zum Endspiel hatte er erwähnenswerte nicht gemacht.

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