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Überraschungserfolg für Lettlands Rechte

Bei den lettischen Parlamentswahlen ziehen die Nationalisten mit den Linkspopulisten fast gleich. Ob sie an der neuen Regierung beteiligt werden, ist noch unklar  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Ein Mann mit einer Hakenkreuzfahne schüttelt Boris Jelzin und Wladimir Shirinowskij die Hand. Mit dieser Karikatur kommentierte eine große Rigaer Tageszeitung das Wahlergebnis der lettischen Parlamentswahlen vom Sonntag. Der Deutsch-Lette Joachim Siegerist gilt als eigentliche Überraschung dieser Wahl: Mit 15,06 Prozent der Stimmen brachte er seine rechtsnationalistische „Bewegung für Lettland“ nach vorläufigen Ergebnissen auf 17 der 100 Mandate. Damit kam sie aus der Bedeutungslosigkeit auf den zweiten Rang der neun im neuen Parlament vertretenen Parteien.

Wenig besser schnitt die linkspopulistische „Saimnieks“ mit 15,3 Prozent der Stimmen und 18 Mandaten ab. Die rechtkonservative "Lettlands Weg" unter Ministerpräsident Maris Gailis verlor die Hälfte der bisherigen Wählerschaft und erhielt mit 14,65 Prozent 17 Sitze. Trotzdem tauchte diese Partei in den Nachwahlanalysen als vermutlicher Partner in jeglichem denkbaren Koalitionsszenario wieder auf. Ob auch der rechtsextremistische Siegerist eine Chance hat, in eine Koalition aufgenommen zu werden, ist fraglich: Fast alle anderen Parteien hatten sich im Wahlkampf von ihm distanziert und eine Zusammenarbeit abgelehnt. Allerdings hatte auch keine Meinungsumfrage auf die massiven Gewinne seiner Partei hingedeutet. Siegerist jedenfalls forderte in den Pressekonferenzen nach der Wahl abwechselnd gleich den Posten des Ministerpräsidenten und des – im kommenden Jahr zur Wahl anstehenden – Staatspräsidenten ein.

Waren die ersten Parlamentswahlen nach der Unabhängigkeit noch hauptsächlich von den ethnischen Gegensätzen im Land mit einer 45prozentigen Minderheit russischer, weißrussischer und ukrainischer Bevölkerung geprägt, spielte diese Problematik jetzt nur am Rande eine Rolle. Noch hat die überwiegende Mehrheit von ihnen weder die lettische Staatsangehörigkeit noch das Wahlrecht. Wer wählen durfte, entschied sich mehrheitlich für die Sozialistische Partei, bei der vorwiegend Persönlichkeiten der Alt-KP wieder aufgetauchten, oder für die linkspopulitische „Saimnieks“. Diese neue Partei, die aus dem Stand an die Spitze schnellte, will gute politische und wirtschaftliche Verbindungen zu Rußland ebenso wie zum Westen, bis hin zu einer EU- oder Nato-Mitgliedschaft.

Die soziale Misere Lettlands prägte nicht nur den Wahlkampf, sondern auch das Wahlergebnis. Gewählt wurden noch nicht korrumpierte Parteien, auch wenn sie das Heil mit rechtsextremem und sonstigen zweifelhaften Sprüchen versprachen. Siegerists WählerInnen nach den Gründen ihrer Wahlentscheidung gefragt, verweisen darauf, daß er bereits den armen Leuten geholfen habe: mit der Verteilung von Kleidern und Bananen. In einem Land, in dem nicht nur die VerkäuferInnen, die Mehrheit der Bauern und auch alle Lehrer ein Einkommen weit unter dem offiziellen „Existenzminimum“ haben und wo ein Drittel der Bevölkerung um die tägliche Nahrung fürchtet, haben solcherart WundertäterInnen aller Couleur Hochsaison.

Noch bevor sich erste mögliche Koalitionsmodelle abzeichneten, spekulierten viele lettische Zeitungen schon über eine ganz andere Lösung des chaotischen lettischen Nachwahlpuzzles: Neuwahlen.

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