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Meiden Sie Portarlington! Von Ralf Sotscheck

Neulich im Frühzug nach Galway an der irischen Westküste setzte ich mich in den Speisewagen und bestellte Kaffee. Nach einer halben Stunde stellte mir der Kellner ein Getränk hin, das wie ein Kamillentee aussah, aber nach Chicorée roch. Als ich höflich darauf hinwies, daß ich Kaffee bestellt hatte, brach der Kellner in schallendes Gelächter aus und zeigte dem grauhaarigen Mann am Nachbartisch meine Tasse. „Er hat Kaffee bestellt“, wieherte der Kellner, bis es auch den Graukopf vor Lachen schüttelte. Der hatte sich in weiser Voraussicht einen Whiskey zum Frühstück bestellt. Die Zugansage gab dem Grauhaar dann den Rest. Mit Grabesstimme verkündete der Ansager, daß der Zug in einer halben Stunde in Portarlington einlaufen werde. Dabei sprach er den Ortsnamen so angewidert aus, als ob er sich übergeben müßte. „So schlimm habe ich Portarlington gar nicht in Erinnerung“, brüllte der Whiskeytrinker vergnügt. Ich ging zurück in mein Abteil.

Wäre ich bloß im Speisewagen geblieben. Inzwischen hatte sich ein junger Mann an den Tisch im Abteil gesetzt und entrollte ein Leinenbündel, das sich als Aufbewahrungstasche für eine Messerkollektion entpuppte. Er nahm ein riesiges Schlachtmesser in die Hand, prüfte es mit dem Finger und schärfte es dann mit einem Schleifstein. Schließlich kontrollierte er die Klinge wieder mit der Fingerspitze, lächelte zufrieden und schob das Messer zurück in den Leinenbeutel. Diese Prozedur wiederholte er mit den anderen elf Messern. Mir wurde angst und bange, zumal er mich zwischendurch angrinste. In Portarlington stieg der Messernarr zum Glück aus. Ich werde Portarlington künftig meiden.

„Komisches Hobby“, meinte auch der etwa 60jährige vom Nebentisch, der trotz US-Akzent steif und fest behauptete, aus der Grafschaft Galway zu stammen. Seine Familie, die McDonaghs, lebe seit 700 Jahren dort. Woher er denn seinen Südstaatenakzent habe, fragte ich ihn. Er selbst sei erst vor fünf Jahren zufällig Ire geworden, erklärte er. Und das kam so: 1989 war er mit einem Mietwagen bei Carna westlich von Galway unterwegs. Er wollte dort einen Geschäftsfreund besuchen und fragte einen alten Mann nach dem Weg, doch der erklärte es ihm auf Irisch. Darüber hinaus zeigte er mit einer Hand nach links und mit der anderen nach rechts. Ein Passant übersetzte: „Der Mann, den sie besuchen wollen, wohnt da links. Aber der Mann, den sie besuchen sollten, wohnt dort rechts.“ McDonagh ignorierte den Rat und fuhr zum Geschäftsfreund.

Ein Jahr später kam er mit seiner Frau nach Carna. Als sie beim Essen waren, trat plötzlich McDonaghs Vater ins Restaurant. „Meine Frau fiel gleich in Ohnmacht“, sagte McDonagh, „denn mein Vater war schon elf Jahre tot.“ Es war natürlich nicht der Geist des Vaters, sondern ein Cousin dritten oder vierten Grades, von dessen Existenz McDonagh nichts gewußt hatte – ebensowenig wie vom Rest der zahlreichen Verwandtschaft. Dem Alten, der ihm im Vorjahr den Weg gewiesen hatte, war die Familienähnlichkeit sofort aufgefallen. McDonagh war von seiner Entdeckung so begeistert, daß er in Carna blieb und Ire wurde. „Was bin ich froh“, sagte er, als der Zug aus dem Bahnhof rollte, „daß mir das nicht hier in Portarlington passiert ist.“

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