: Aufs Geschlecht reduziert
■ betr.: „Nach der Heirat können wir uns berühren“, taz vom 4. 10. 95
Das Interview von Arno Luik mit der 23jährigen praktizierenden Muslimin zeigt ein grundlegendes Unverständnis des Autors, sowohl in bezug auf die Geschlechterfrage als auch in bezug auf den Islam. Sicher muß man es nicht wie die marokkanische Soziologin Fatima Mernissi halten, die es jeder Person offen lassen will, ob sie und in welcher Form sie religiös ist, solange sie nicht missioniert, solange aus dem individuellen Glauben kein Glaubenszwang für den Rest der Gemeinschaft gemacht wird. Unter demokratischen Gesichtspunkten scheint es mir jedoch der einzig praktikable Umgang mit Religion.
Glaubensfreiheit ohne Glaubenszwang und eine Trennung von Kirche und Staat sollte meines Erachtens für alle Religionen gelten. Die von Arno Luik interviewte Fatemah Amin ist zwar sicher – was die Gesetzespraktiken beispielsweise im Iran angeht – falsch informiert, und es kann durchaus sein, daß sie auch falsch informiert sein möchte, ihre Antworten weisen jedoch in keinem Augenblick darauf hin, daß sie ihre religiösen Überzeugungen anderen Menschen aufzwingen will. Warum aber soll sie nicht nach ihrer Fasson leben, wenn sie damit glücklich ist?
Der Missionar in diesem Interview ist der Fragesteller, Arno Luik. Er will Fatemeh Amin nachweisen, daß ihre Überzeugungen falsch sind. Das gibt dem Interview einen impertinenten Unterton. Warum stellt Arno Luik seine Fragen nicht einem missionierenden Muslim, einem Mann, der für ihn keine so einfache rhetorische Beute hätte werden können? Warum fragt er nicht einen Mann: „Und, bist du geil, sobald du die Haare einer Frau siehst?“
Arno Luik weiß, wer die Gesetze im Islam zu wessen Gunsten auslegt. Eine Leistung wäre es gewesen, hätte er deren Motive entlarvt. Eine Leistung wäre es auch gewesen, hätte er sich darüber Gedanken gemacht, warum immer mehr Menschen islamischen Glaubens sich durch ihre religiösen Praktiken von der deutschen Gesellschaft abgrenzen. All dies leistet das Interview nicht, vielmehr versucht es, eine junge Frau in ihren Überzeugungen zu demontieren? Wozu? Was daran ist Hintergrund? [...] Waltraud Schwab, Berlin
Arno Luik hat bewiesen, daß Fatemeh Amin unterdrückt und ausgebeutet ist. Nämlich von distanzlosen Reportern wie ihm, die meinen, sie hätten das Recht, eine Frau gnadenlos auszuquetschen, nur weil sie ein Kopftuch trägt. Eine 23jährige ist ja auch genau das richtige Objekt, um mal gegen den Chauvinismus der ganzen islamischen Welt zu Felde zu ziehen.
Der Artikel ist sehr aufschlußreich. Er zeigt, daß manche deutschen Männer in Sachen Selbstherrlichkeit ihren orientalischen Kollegen in nichts nachstehen. Und er zeigt, daß das Stück Stoff, das uns Frauen vor so etwas schützt, noch erfunden werden muß. Ebba E. Kaynak, Schorndorf
Könnte man nicht endlich damit aufhören, „gläubige Musliminnen“ mit dämlichen Fragen wegen ihrer Unterdrückung zu nerven? Und dann auch noch das unsägliche Foto – Picknick am Valentinstag im Gaza-Streifen, was? Schade, daß Luik nicht „Arzu Calkilić, gebürtige Berlinerin mit einer Heimat in der Türkei“ interviewen durfte – mit der hätte er wenigstens ins Schwimmbad gehen können... Lothar Kittstein, Bonn
Widerliche Haremsphantasien eines sexistischen Imperialisten habt Ihr mir da angeboten! [...] Dieser widerliche Hochmut, dieses Gehabe von Arno Luik, seine Reduzierung islamischer Religiosität auf Sex, keine Fragen danach, wie Frau Amin ihre Religion zum Beispiel im Gebet ausübt, ob sie Freundschaften mit muslimischen und/oder andersgläubigen Menschen in ihrem Alter hat, ob sie politisch aktiv oder organisiert ist, wie sie zum Beispiel zum Wahlrecht für AusländerInnen steht. [...] Merke: Selbst das Kopftuch und/ oder der Schleier schützen nicht vor sexueller Belästigung und frau wird so oder so zum Sexualobjekt degradiert. Besteht denn der Islam nur aus Sex? Hat Herr Luik Angst vor angeblich potenteren orientalischen Männern? Hat er Wunschphantasien, daß er mehrere Frauen zu heiraten wünscht und somit seine negativ bewertete Promiskuität legal ausleben darf? Dieses Interview sagt mehr über den Interviewer als über Frau Amin aus.
Betrachte ich mir ihre Aussagen näher, so muß ich in vielem selbst als Nichtmuslimin mit ihr übereinstimmen: Frauen werden in jedem Bereich der Öffentlichkeit belästigt und müssen sich schützen, Frauen sind in der Werbung Sexualobjekte – wer hat nicht schon auf den Privatsendern über den Vergewaltiger „Daim“ und das freudige Wiedererkennen der vergewaltigten Frau gekotzt? Frauen werden belästigt, wenn sie alleine schwimmen gehen – und nicht zu knapp! [...]
Herr Luik hat mit Frau Amin genau das gemacht, was ihr angeblich der Schleier antut, er hat sie unterdrückt und zum Objekt seiner Phantasien gemacht, als Menschen nicht ernst genommen, sie auf ihr Geschlecht reduziert. [...] Kerstin Witt, Berlin
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