Echo der Vergangenheit

Theremin und Rhythmicon: Die Popmusik entdeckt die ersten elektronischen Instrumente neu  ■ Von Christoph Wagner

Sein Name ist den wenigsten bekannt, obwohl sein säuselnder Klang fast jedem vertraut ist. Vor allem Filmfans horchen auf, aber nicht nur sie. Auch in der Popmusik steht das Theremin wieder hoch im Kurs. Nachdem es einst von den Beach Boys auf „Good Vibrations“ und von Led Zeppelin auf „Whole Lotta Love“ eingesetzt wurde, hat jetzt das Erfolgsalbum „Dummy“ von Portishead dem „Ätherophon“ aus der Urzeit des elektronischen Musikzeitalters abermals ein Comeback verschafft.

Von The Orb und Pere Ubu über die Shakespeare Sisters und Todd Rundgren bis zum Radio Science Orchestra, Paul Weller und Warren G reicht das Spektrum der Musiker, die das Klanggerät neu entdeckt haben, das so anders ist als alle anderen Musikinstrumente. Die besondere Eigenart und zugleich das Mysterium des Theremins besteht darin, daß man es beim Spielen nicht berührt. Vielmehr werden nur die Hände im elektrischen Feld der beiden Antennen bewegt, und schon fängt die Soundmaschine zu summen an. Das ist leichter gesagt als getan. Das Musizieren auf dem Ätherwelleninstrument erfordert eine völlige Unabhängigkeit der Motorik. Während die linke Hand die Lautstärke kontrolliert, steuert die rechte die Tonhöhe, wobei der Abstand zu den Antennen ausschlaggebend ist.

Voll konzentriert Gleittöne produzieren

Der Spieler benötigt ein feines Gehör, höchste Konzentration und viel Fingerspitzengefühl, denn außer dem Klang gibt es nichts, worauf er sich beziehen könnte. Da das Theremin über keine fixierten Noten verfügt, sondern in einer Spannweite von mehreren Oktaven jede Frequenz bereithält (Gleit- und Mikrotöne eingeschlossen), ist musikalische Vorstellungskraft gefragt. „Man muß sich über das Endergebnis schon im voraus klar sein“, erklärt Jonathan Donahue von der amerikanischen Psychadelic-Rockband Mercury Rev. „Wenn man nur vor den Antennen rumfuchtelt, gibt es nichts als Rückkopplungen. Deshalb muß man den genauen Verlauf des Stücks kennen und wissen, was man will, sonst wird man die richtigen Töne nicht treffen.“

Neben der ungewöhnlichen Spielweise ist der sphärenhafte Ton eine andere Eigenheit des Theremins, wie man ihn aus vielen Filmen des Grusel-, Thriller- und Science-fiction-Genres der fünfziger Jahre kennt, von denen Hitchcocks „Spellbound“ und „The Lost Weekend“ von Billy Wilder nur die bekanntesten sind. Dieser Klang, der zwischen einem vibratoreichen Celloton und einer weiblichen Gesangsstimme liegt, setzt mit seinem synthetischen Timbre beim Hören allerlei Phantasien frei: Einerseits erscheint er wie das ferne Echo einer anderen Welt fremder Galaxien; andererseits meint man darin immer noch die Technikverheißungen vom Anfang des Jahrhunderts schwingen zu hören. „Wir verwenden das Theremin, weil es das genaue Gegenteil von einem erdigen Sound ist“, erklärt Rosie, die Sängerin der Popformation Pram aus dem englischen Birmingham. In ihrem Bandsound aus esoterischen Klanggemälden spielt das Ätherwelleninstrument eine wichtige Rolle. „Sein kalter Klang hat es uns angetan. Er erinnert an verlorene Seelen. Ein Freund hat uns gezeigt, wie es funktioniert. Er war allerdings mehr ein Instrumentenbauer als ein Musiker. Wir fanden es schwierig, damit umzugehen und diese schönen schwebenden Klänge zu erzeugen. Deshalb spielen wir es auch nicht live.“

Soundvisionen ganz anderer Art spukten Jonathan Donahue im Kopf herum, als er sich für das letzte Album von Mercury Rev ein Theremin ins Studio holte. Donahue hatte schon früher mit den Möglichkeiten einer singenden Säge experimentiert, deren Schwingungen sich wie die akustische Version eines Ätherophons anhören: Theremin unplugged! „Mich interessiert mehr die traurige Seite der Maschine, wenn sie wie eine Solovioline schluchzt. Ich wollte einigen unserer Songs mehr Melancholie verleihen, so ein Großstadtgefühl der dreißiger Jahre.“

Im Post-Hardcore-Rock der Jon-Spencer-Blues-Explosion verwandelt sich das Ätherwelleninstrument zur brachialen Klangmaschine. Da es auf musikalische Feinheiten nicht so ankommt, wird das Instrument vom New Yorker Trio auch auf der Bühne gespielt. Da der Lautstärkeregler ihres Examplers kaputt ist, stellt Jon Spencer das Gerät erst kurz vor dem Einsatz ein und genießt dann das „geile Gefühl, seinen Sound durch eine riesige Verstärkeranlage donnern zu hören“. Dadurch, daß sein Uraltmodell nicht richtig geerdet ist, bekommt er bei jeder Berührung einen leichten Stromschlag.

Spencer ist keineswegs der einzige, dessen Theremin nicht verläßlich funktioniert. Vor allem ältere Exemplare, die in den fünfziger Jahren oft als Bausätze im Do- it-yourself-Verfahren gefertigt wurden, sind höchst anfällig. Störungen sind an der Tagesordnung, was Studiosessions zuweilen zu Zitterpartien macht – immer am Rande des Absturzes.

Die elektronische Revolution Rußlands

Als das Theremin in den zwanziger Jahren erstmals in Europa auftauchte, galt es als Sensation. Seine Premiere fand 1923 im Berliner Hotel Esplanade statt. Vor der Pariser Oper prügelten sich später die Leute um Eintrittskarten für das Konzert mit dem futuristischen Wunderding, das „Töne aus der Luft“ erzeugen konnte, wie die Presse damals schrieb. Sein Erfinder Lev Sergejewitsch Thermen, ein Physiker mit Cello-Diplom aus St. Petersburg, hatte das Gerät kurz nach der russischen Revolution entwickelt und erstmals 1920 auf dem Achten Allsowjetischen Elektrotechnischen Kongreß in Moskau vorgestellt. Zeitungsberichte erregten Lenins Aufmerksamkeit, der zum Konzert in den Kreml bat, wo die Erfindung einen starken Eindruck hinterließ.

In über 200 Konzerten wurde das Ätherophon daraufhin in ganz Rußland präsentiert. Danach ging es 1927 auf Propagandatour nach Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Der kapitalistischen Welt sollten die raschen Erfolge des Sozialismus vor Augen geführt werden. Mit Erlaubnis der Sowjetregierung ging Lev Thermen, der im Westen Leon Theremin genannt wurde, 1928 nach Amerika und richtete in Manhattan ein Musikstudio ein, von wo aus er die Vermarktung und Verbesserung seiner Erfindung vorantrieb. Er versuchte, Komponisten für die Möglichkeiten der Elektronik zu interessieren und hatte dabei vor allem bei Vertretern der Avantgarde Erfolg, die das tonale System aus den Angeln heben wollten. Edgar Varèse, ein radikaler Neutöner, beauftragte den russischen Professor mit dem Bau zweier Theremin-Instrumente für seine Komposition „Educational“, um dem Stück „eine völlig neue Magie des Klangs“ zu geben. Henry Cowell war ein anderer Pionier der atonalen Musik, der zusammen mit Theremin an der ersten elektronischen Rhythmusmaschine arbeitete. Das „Rhythmicon“ war ein Apparat, der mittels Fotozellen und rotierenden Scheiben rhythmische Muster in intervallische Tonreihen verwandelte und für den Cowell sogleich ein symphonisches Werk konzipierte, das 1931 unter dem Titel „Rhythmicana“ seine Uraufführung erlebte.

Im Zuge des aktuellen Theremin-Revivals hat der australische Gitarrist John Came und der Londoner Elektroniker Nick Cope diesen Vorgänger des Drumcomputers reaktiviert. Cope hatte die Klang-Rhythmus-Maschine bei der Haushaltsauflösung eines Plattenproduzenten erstanden, der das Instrument vor Jahren in einem New Yorker Pfandleihhaus aufgestöbert hatte. Came speiste nun seine Gitarren-Kompositionen in die Maschine, die das Datenmaterial in rhythmische Impulse übersetzte, denen wiederum bestimmte Töne zugeordnet sind, wodurch eine komplexe Musik entsteht, die von den aktuellen Jungle- und Techno-Sounds nicht allzu weit entfernt ist.

Die Avantgarde setzt auf Radiowellen

Leon Theremin war in den zwanziger Jahren nicht der einzige Tüftler, der sich der Entwicklung von Musikinstrumenten verschrieben hatte. Die Erfindung der Elektronenröhre, die Schwingungen erzeugen und verstärken konnte, hatte die Tür zum Universum der elektronischen Klänge aufgestoßen. Paris und Berlin bildeten die Zentren der Innovation. An der Seine hatte René Bertrand das „Dynaphon“ kreiert, das mit Osziallatoren einen Tonumfang von fünf Oktaven umfaßte. Der Cellist und Rundfunkingenieur Maurice Martenont konstruierte daraus ein Radiowelleninstrument, das sogenannte „Ondes Martenont“, das vor allem in Kreisen der Neuen Musik geschätzt wurde. Zahlreiche Stücke entstanden für den neuen Klangerzeuger, darunter Werke so bedeutender Komponisten wie Maurice Ravel, Darius Milhaud, Arthur Honegger und Olivier Messiaen, dessen Frau Jeanne Loriod selbst eine berühmte Ondes- Martenont-Virtuosin war. Obwohl das Ondes Martenont das populärste Elektronikinstrument vor dem Synthesizer war, hat es in der Rockmusik nie Fuß gefaßt. Außer der Ex-Henry-Cow-Musikerin Lindsay Cooper hat bisher niemand auf das französische Gegenstück des Theremins zurückgegriffen. Das könnte sich jedoch bald ändern. Adrian Utley, seines Zeichens Gitarrist und Elektroniker von Portishead, hat die Fährte bereits aufgenommen. „Das Ondes Martenont klingt ähnlich wie ein Theremin, ist aber viel leichter zu spielen, weil es über ein Manual verfügt, auf dem man mit einem

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Metallring am Finger den Kontakt herstellt. Diese frühen elektronischen Sounds haben ihren eigenen Zauber. Sie klingen weit persönlicher als die standardisierten Programme der heutigen Musikcomputer.“

Im Berlin der Weimarer Zeit bildeten die Universitäten den Brennpunkt der musikalischen Innovationen. Neben der Technischen Hochschule, wo Oskar Vierling an diversen Konstruktionen feilte, bildete die Hochschule für Musik den Mittelpunkt der Aktivitäten. Zusammen mit dem Komponisten Paul Hindemith und seinem Schüler Oskar Sala hatte der Ingenieur Dr. Friedrich Trautwein das „Trautonium“ entwickelt, das im Soundtrack zum Hitchcock- Film „Die Vögel“ seinen großen Auftritt hatte. Oskar Sala, inzwischen 85jährig, stößt als letzter Solist des Trautoniums momentan in Kreisen junger Techno-Elektroniker wieder auf Interesse, was das Frankfurter Fax-Label veranlaßte, sein Album „My Fascinating Instrument“ neu zu veröffentlichen.

Der Geheimdienst schaltet sich ein

Für Leon Theremin begannen sich nach der Weltwirtschaftskrise die Dinge in New York günstig zu entwickeln. Er gab Vorführungen für Rachmaninoff und Toscanini und wurde in der vornehmen Gesellschaft herumgereicht. Niemand ahnte, daß er den Inhalt seiner Gespräche – ob mit Einstein oder General Eisenhower – an den russischen Geheimdienst weiterleitete. „Ich war so etwas wie ein Spion“, gab er später unumwunden zu. 1938 muß es zu Differenzen gekommen sein, denn Theremin war auf einmal verschwunden. Geheimdienstleute hatten ihn gekidnappt und in die Sowjetunion verschleppt, wo er nach quälenden Verhören ins berüchtigte Gulag- Lager von Magadan in Ostsibirien deportiert wurde.

Theremin blieb lange Zeit verschollen. Der Verbreitung seines Instruments tat das keinen Abbruch. In den USA wurde es so populär, daß Robert Moog als Teenager sein erstes Modell nach Konstruktionsplänen einer Jugendzeitschrift bastelte, um später ein paar der Bauprinzipien in die Erfindung des Synthesizers einfließen zu lassen. „Ich habe das Konzept von Leon Theremin immer bewundert“, sagt Robert Moog heute. „Schon sehr früh in der Geschichte der Elektronik entdeckte er, wie man diese neue Art von Musikinstrumenten bauen kann. Sein Ansatz war für die damalige Zeit so elegant und hochentwickelt, daß es selbst heute noch schwer fällt, seine Grundidee zu verbessern.“

Das aktuelle Revival seiner Instrumente hat Leon Theremin nicht mehr erlebt. Er ist vor zwei Jahren im Alter von 97 Jahren in Moskau gestorben. Allerdings wird die Familientradition von seiner Großnichte Lydia Kavina weitergeführt, die auf dem Soundtrack des zum Fifties-Hommage-Films „Ed Wood“ das Ätherwelleninstrument bedient.

Auswahldiskographie:

Theremin: Portishead – Dummy. Go! Beat 828522

Mercury Rev – See you on the Other Side

Beggars Banquet BBQCU 176

Pram – Meshes. Too Pure/ Rough Trade PURECD 35

Pere Ubu – Raygun Suitcase. Cooking Vinyl CD 089

The Jon Spencer Blues Explosion – Orange. Ole 105-2

Howard Shore – Ed Wood/Original Soundtrack. Hollywood Records 162 002-2

Rhythmicon:

John Came – Rhythmicon. Mute Records CDSTUMM140

Trautonium:

Oskar Sala – My Fascinating Instrument. Fax Records

Harald Genzmer/Oskar Sala – Trautonium-Konzerte. Wergo WER 6266-2

Ondes Martenont:

Lindsay Cooper (u. a.) – Sarajevo Suite. L'empreinte digitale ED13039