: Öl aus dem wilden Atlantik
Nach dem Nordsee-Öl locken jetzt die Ölreserven im Atlantik. Doch niemand weiß, ob das Unternehmen nicht eine Nummer zu groß ist ■ Aus Shetland Hans-Jürgen Marter
Tavish Scott ist verärgert. Der Abgeordnete der Bezirksversammlung der Shetland-Inseln hält die Sicherheitsvorkehrungen des Mineralölkonzerns BP für die Ausbeutung des Foinaven-Ölfeldes im Atlantik für völlig unzureichend. „Ich glaube nicht, daß wir diesen ersten Entwurf eines Katastrophenschutzplanes akzeptieren können. An 100 Tagen im Jahr würden wir nach einem Ölunfall nichts ausrichten können.“
Erst zu Beginn dieser Woche hatte eine lose treibende Ölplattform im Atlantik den Menschen auf den Shetlands einen gehörigen Schrecken eingejagt. Die mit Forschungsarbeiten an den neuen Ölfeldern beschäftigte Plattform „Ocean Atlantic“ mit ihren 80 Mann Besatzung an Bord hatte tagelang umhergetrieben, bevor BP sie am Mittwoch wieder festlegen konnte – „wie einen Felsen“.
Diesmal ist nichts passiert, der Vorfall wirkt aber wie ein Menetekel für mögliche Unfälle. Bislang ist es weder Umweltverbänden noch den Kommunen an der schottischen Nordküste gelungen, ein Mitspracherecht beim ganz großen Geschäft mit dem Öl zu bekommen. Nach dem Shell-Desaster mit der Brent Spar diskutierten BP- Vertreter zwar öffentlich die Bedenken der Bevölkerung der Shetland-Inseln.
In 500 Meter Tiefe versagt die Technik
Doch Konsequenzen wird das keine haben. Schon im Frühjahr 1996 soll das erste Öl aus dem Foinaven-Feld, 300 Kilometer nördlich des schottischen Festlandes und 200 Kilometer westlich der Shetland-Inseln, verschifft werden. Das Foinaven-Feld wurde erst 1992 entdeckt und stellt außerordentliche Anforderungen an die Fördertechnologie. Bei einer Wassertiefe von 500 Metern läßt sich mit herkömmlicher Technologie nichts mehr ausrichten. Eine Plattform läßt sich nicht mehr verankern.
Daher hat BP sich für den Einsatz eines schwimmenden Fördersystems mit Tanker entschieden. Die sogenannten „Floating Production Storage Operations (FPSO)“ verfügen über eine große Lagerkapazität und ermöglichen die direkte Verladung auf seegehende Tanker.
Eine für die Umwelt riskante Vorgehensweise. Zwar werden bereits 20 Prozent des britischen Nordseeöls „floatend“ gefördert, und auch im norwegischen Bereich der Nordsee, im Persischen Golf und im Golf von Mexiko habe man gute Erfahrungen mit treibenden Einheiten gemacht, so der bei BP verantwortliche Direktor Tom Fyfe. In einer 1994 erschienenen Publikation der Deutschen Shell hingegen werden die treibenden Produktionssysteme als „relativ stark wetterabhängig“ bezeichnet.
Und das im Nordatlantik. Während des Winters, der in dieser Region von Oktober bis April dauert, jagt ein Sturmtief das nächste.
Bei drei Meter hohen Wellen ist BP machtlos
Noch gut erinnert man sich an die bewegten Tage des Januar 1993, als der mit 85.000 Tonnen beladene Tanker „Braer“ an die Küste der Shetland-Inseln geworfen wurde. Damals herrschte an 25 von 31 Tagen Sturm. Die Bevölkerung im Norden Schottlands fragt sich heute, was geschehen würde, wenn sich unter diesen Bedingungen ein größerer Unfall im Foinaven-Feld ereignen würde. „Das System in Foinaven ist mit neun Ventilen zwischen Ölquelle und Fördersystem ausgerüstet“, erklärt Tom Fyfe von BP, „es kann jederzeit effektiv geschlossen werden.“
In einer Umweltverträglichkeitsstudie räumt der Ölmulti allerdings ein, daß bei nur drei Meter hohen Wellen die Chancen, einen Ölteppich unter Kontrolle zu bringen, auf elf Prozent sinken.
Bei den vorherrschenden westlichen Winden liegen die Shetland- wie auch die Orkney-Inseln exakt in dem von einer Umweltkatastrophe bedrohten Gebiet. Ein Ölteppich könnte innerhalb von 48 Stunden beide Archipele erreichen. Nicht nur die berühmten Vogelreservate wären dann bedroht, sondern auch das filigrane Wirtschaftsgefüge aus Fischerei, Lachszucht und Tourismus.
Und dabei ist Foinaven erst der Anfang. Bei der Lizenzvergabe für Probebohrungen in der Region übertrifft der Andrang der Ölkonzerne die Erfahrungen aus der Nordsee. Fünf weitere Erdölfelder sind bislang gefunden worden, von denen das Shiehallion-Feld als nächstes entwickelt werden soll.
Das Clair-Ölfeld wurde bereits in den siebziger Jahren entdeckt. Doch ließe sich dort wegen der geologischen Beschaffenheit des Meeresbodens nur ein unbedeutender Teil des Öls fördern. Jamie Jardin, Sprecher von BP in Aberdeen, ist jedoch hoffnungsfroh: „In zehn Jahren könnten wir unsere Technologie soweit entwickeln, daß auch dieses Feld ausbeutungsfähig wird.“ Mit einer geschätzten Kapazität von drei Milliarden Barrel ist es ergiebiger als die größten Vorkommen in der Nordsee.
Bei Foinaven allerdings geht es vorerst um 200 Millionen Barrel. Derzeit investiert BP gemeinsam mit Shell (dem Konzern gehört ein 20prozentiger Anteil) 1,3 Milliarden Mark, um das schwarze Gold ans Tageslicht zu pumpen. Beide Konzerne rechnen mit einer anfänglichen Tagesproduktion von 85.000 Barrel Öl.
Umweltschützer fordern den Bau einer Pipeline, die weit sicherste Art, um Öl zu transportieren. Jonathan Wills, ein auf den Shetland-Inseln lebender Biologe, möchte die Ausbeutung der Foinaven-Reserven um einige Jahre verschieben, bis weitere Ölfelder entwickelt sind und sich somit der Bau einer Pipeline rentiert.
Doch davon möchte BP nichts wissen. Die schnelle Mark lockt. Aus diesem Grunde sei man dazu übergegangen, so Wills, die Ölfelder nicht mehr nach Vögeln zu benennen, wie dies in der Nordsee getan wurde. Der Mythos der umweltfreundlichen Ölförderung verfehlt seine Wirkung, wenn Bilder von verölten Kormoranen mit einem Ölfeld „Cormorant“ in Verbindung gebracht werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen