: Schöne Worte für Annemarie Schimmel
Roman Herzog fordert bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels die Aufhebung der Morddrohung gegen Salman Rushdie. Draußen blieben wenige Protestierende ■ Aus Frankfurt /M. Anita Kugler
Die Erde öffnete sich nicht, als Annemarie Schimmel – von höflichen Herren am Ellbogen durch die Menge geleitet – die Paulskirche betrat. Ein paar schwarz verhüllte Frauen mit Transparenten, ein paar schrille Piffe, ein paar Buhrufe, ein böser Zuruf des Publizisten Henryk M. Broder: „Hand ab, Fuß ab, Kopf ab“. Das war es auch schon an Protest.
Annemarie Schimmel (73), die deutsche Wissenschaftlerin, die den Islam des Hochmittelalters so liebt wie andere Frauen ihre Kinder und deshalb deren erwachsene Unarten als Verirrungen hinnimmt, konnte den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels so feierlich ungestört entgegennehmen, wie einst Martin Buber oder Amos Oz oder Jorge Semprún. Nachdem 16 Jahre hintereinander nur Männer – fünf von ihnen waren Juden – für ihr friedensstiftendes Engagement ausgezeichnet wurden, bekam den mit 25.000 Mark dotierten Preis jetzt eine Frau, die sich stets erst nach bohrenden Nachfragen zur universellen Gültigkeit von individuellen Menschenrechten bekannte. Ganz gleich, ob es um Salman Rushdie ging oder um die Unterdrückung der Frauen in islamischen Staaten.
Und so war es dann auch Bundespräsident Roman Herzog, der in seiner Laudatio die Worte fand, die man so gerne in der monatelangen Auseinandersetzung von Annemarie Schimmel gehört hätte: „Wenn wir in Dialog mit anderen eintreten, bringen wir einige Essentials ein, die nicht verhandelbar sind. Dazu gehört die Freiheit der Rede, und dazu gehört vor allem, daß niemand wegen seiner Überzeugung zu Schaden gebracht werden darf. [...] Wer mit Tod und Folter bedroht ist, dem stehen wir zur Seite.“
Und an die Adresse Teherans richtete Herzog die Forderung, die Morddrohung gegen Salman Rushdie „verläßlich“ aufzuheben. Und es war ebenfalls Roman Herzog und nicht Annemarie Schimmel, der sich gestern gegen jeglichen „Werterelativismus“, wandte – also gegen alle Versuche, die Unterdrückung des Individiums kulturhistorisch zu begründen und damit zu verteidigen.
Als Maßstab für alle Kulturen der Welt habe die goldene Regel zu gelten, „was du nicht willst, das man dir tut, das füg' auch keinem anderen zu“. Verglichen mit diesen Sätzen, fiel Roman Herzogs persönliche Ehrung an Annemarie Schimmel blaß aus. Sie habe den Preis verdient, weil sie sich in „fremde Erfahrungswelten“ hineinfühlen und so den Dialog zwischen den Kulturen vorantreiben könne.
„Dialog“ war auch das Stichwort für Annemarie Schimmels Dankesrede. Sie habe den Preis trotz aller Angriffe – „Seelenqualen“ seien sie gewesen – entgegengenommen, weil sie sich „den Orientalisten, die sich um den stillen Dialog bemühen“, verpflichtet fühle. Selbstverständlich lehne sie die Fatwa gegen Salman Rushdie ab. In ihrer Rede kritisierte sie gestern sogar die „erschreckende Verengung und Verhärtung dogmatischer und legalistischer Positionen, die sich des Islams als eines Schlagwortes bedienen und mit seinen religösen Grundlagen kaum noch etwas gemein haben“.
Unarten eben, so könnte man interpretieren. Zumal Schimmel sich gestern – wie in der Vergangenheit – erneut auf ihre Rolle als Gelehrte zurückzog. Als Religionswissenschaftlerin habe sie gelernt, daß man „Ideal mit Ideal“ vergleichen müsse. Und sie zitierte den Muhammed-Biographen Bischof Tor André: „Ein religöser Glaube hat dasselbe Recht, wie jede andere ideelle Bewegung, nachdem beurteilt zu werden, was er wirklich will, nicht danach, wie menschliche Schwäche und Erbärmlichkeit das Ideal verfälscht haben“.
Draußen vor der Tür der Paulskirchehatten Demonstranten ein Transparent mit der Nachricht aufgestellt, daß in Teheran vor einigen Tagen eine Braut mit 85 Peitschenhieben bestraft wurde, weil sie auf ihrer Hochzeit mit fremden Männern getanzt hatte. Laut der Teheraner Interpretation des Islams, haben Frauen und Männer getrennt zu feiern. Daß Menschenrechte nicht in den Rahmen der Scharia zu pressen sind, daß gerade Frauen Opfer der göttlichen islamischen Gesetzgebung sind, erwähnte Frau Schimmel gestern leider nicht. Sie endete ihre Festrede mit dem Gedicht: „Er, der einzige Gerechte, will für jederman das Rechte, sei von seinen hundert Namen dieser hochgelobet. Amen.“
Als die Wissenschaftlerin den Preis entgegennahm, applaudierten ihr die 800 ZuhörerInnen im Saal stehend. Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) hatte sie zuvor als „große Forscherin“ gelobt, die mit ihrem Werk für den kulturellen und zivilisatorischen Frieden arbeite.
Und der Chef des Börsenvereins, Gerhard Kurtze, versuchte den Streit um die Schimmel noch einmal ins Positive umzumünzen: Der Friedenspreis sei „kein Preis für Harmonie und Übereinstimmung, sondern drückt Anerkennung für die Vermittlung zwischen Gegensätzen aus“. Dies setze eine Polarisierung unter Buchhändlern und Verlegern voraus, die „bis zur Gegnerschaft gesteigert“ sein könne. Allerdings hatte Kurtze genau diese Polarisierung unter Buchhändlern und Verlegern noch vor wenigen Tagen bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse beklagt.
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