: Optische Störung, öffentliches Ärgernis
„Projects & Public Projections 1969–1995“ von Krzysztof Wodiczko im Amsterdamer „De Appel“-Haus ■ Von Jochen Becker
Vor dem Weinhaus Huth am Potsdamer Platz kreist ein Adler. Das Gebäude gehört „Daimler- Benz Inter-Services“. Ein Denkmal in Warschau fährt auf Panzerketten, und am Dachfries des Londoner Südafrika-Hauses prangt ein Hakenkreuz: Jeweils für eine Nacht fügt Krzysztof Wodiczko den steinernen Monumenten eine erkennungsdienliche Bild-Schicht zu. Mit lichtstarken Diaprojektoren wirft er Fotos, die sonst nicht in die Öffentlichkeit dringen, auf städtische Schauplätze. Wodiczko, der 1976 aus Polen emigrierte, pendelt als Künstler-Ingenieur seither zwischen Kanada, USA und Paris. Seine „Public Projections“ dauern kurz, länger überdauern sie im Gedächtnis. Wer die Überlagerung real oder als Abbildung gesehen hat, wird die markante Ergänzung vermutlich nicht vergessen. Südafrikas Regierung jedenfalls intervenierte und ließ das Nazi-Emblem auf ihrer Vertretung am Trafalgar Square als „öffentliches Ärgernis“ verbieten.
Für die Museums-Präsentation seiner zahlreichen öffentlichen Projektionen nutzt Wodiczko seit 1980 wiederum Lichtbilder als Dokumentation, die von zwei Diaprojektoren kontinuierlich in eine verdunkelte Ausstellungskammer des Amsterdamer „De Appel“ geworfen werden. Im Verlauf der Schau erkennt man, daß einige Projektionsorte weniger publik waren. Auf dem weiten, nächtlichen Schneefeld vor einem kanadischen Kunstmuseum etwa sieht man allein die Fußstapfen des Fotografen. An dieser einsamen Lichtung läßt sich die Ambivalenz von Wodizckos Tätigkeit ablesen, der den Kunstbetrieb benötigt und bedient, zugleich aber auch außerhalb von dessen Grenzen tätig sein möchte. Neben der Projektion auf das Südafrika-Haus gab es auf demselben Platz eine weitere, von der Kunsthalle ICA finanzierte Projektion, die gegen die Nelson- Säule geworfen wurde.
Bekannt geworden ist Krzysztof Wodiczko auch durch seine „Homeless Vehicles“. Diese mobilen und zusammenschiebbaren Karren wurden 1988 in Absprache mit New Yorker Obdachlosen als Einzelstücke und Prototypen entwickelt. Sie bieten Platz für den Transport der Habseligkeiten oder zum Deponieren aufgesammelter Pfandbüchsen; sie dienen aber auch als Regenschutz und zum Übernachten im Freien. Zu diesem Zweck gestaltete Wodiczko, ein gelernter Industriedesigner, von Kunstinstitutionen unterstützt mehrere multipel einsetzbare Varianten, wobei die aus poliertem Blech geformte Version einer Rakete gleicht. In der Ausstellung veranschaulichen Fotos, daß diese merkwürdigen, doch durchaus funktionalen Objekte im öffentlichen Raum auffallen, stören, und vielleicht auch nerven sollen. Statt jedoch massenhaft Notbehelfe für die 70.000 homeless people allein in New York zu produzieren, geht Wodiczko Ende der achtziger Jahre mit seinen Karren in die Offensive. Er versucht, Obdachlosigkeit öffentlich sichtbar zu machen: „Wenn sich die Wagen durch New York City bewegen, ist dies ein Akt des Widerstands. Er widersetzt sich dem fortschreitenden Zusammenbruch einer städtischen Gemeinschaft, die Tausende von Menschen ausschließt.“
Für eine Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit Parkbewohnern entstand, setzte er dem Camp am heißumkämpften Thompkins Square Park Knarren, Barrikaden und eine Satellitenantenne per Fotomontage hinzu. „Verdammte aller Städte, vereinigt euch!“ prangt über dem zerklüfteten Geflecht aus Plastikfolien, die Regen und Kälte kaum abhalten. Wegen „optischer Störung“ der umliegenden luxussanierten Appartementblöcke in der Lower East Side Manhattans wurde das Lager in einer selbst von der New York Times als „Klassenkampf“ beschriebenen Rigidität polizeilich geräumt. Und auch die jüngsten, äußerst drastischen Kürzungen der US- amerikanischen Sozialhilfe bestätigen, daß organisierte Gegenwehr dringend gebraucht wird.
Zwei der Karren, die für diese Aktion entwickelt wurden, stehen nun auf flachen Sockeln im „De Appel“. An den Wänden ziehen sich Fotos wie eine Banderole entlang, auf denen die beiden Objekte in Funktion gezeigt werden. Trotz aller Bemühungen, die Situation zu rekonstruieren, haben die abgestellten Dinge ihren Gebrauchswert verloren – das ist die Crux einer solchen Kunstraum-Präsentation. Im Raum gegenüber laufen Videos, die den Einsatz aktueller Straßenobjekte wie „Alien Staff“ und „Porte-Parole“ demonstrieren. Der „Fremden-Stab“ ist laut Wodiczko MigrantInnen und Nomaden zugedacht, er soll sie gegen Isolation und Schweigen wappnen. Der Stab mündet in einen kleinen Videomonitor, der mit einem Rekorder in einer Umhängetasche verbunden ist. Während die Stimme der jeweiligen TrägerInnen laut vernehmbar vom Band spricht, muß man an das kleine Bild sehr nahe herantreten, um die Person erkennen zu können. Zusätzlich sind die unterschiedlichen „Alien Staffs“ mit Privatbildern, fotokopierten Behördenschreiben oder persönlichen Utensilien gestaltet, die hinter Plexiglas stecken. Doch in welcher Landessprache sich die stabtragenden MigrantInnen von New York, Paris, Houston, Marseille, Stockholm, Helsinki und Warschau eigentlich an Passanten adressiert haben, gerät sehr schnell in Vergessenheit.
Bei der jüngsten Arbeit am Projekt „Tragbare Sprache“ – ein Videomonitor in einer technoid wirkenden lippenförmigen Konsole, die über den Mund geschnallt wird – ist die Möglichkeit zur Kommunikation noch stärker an die Sprachkompetenz der Träger gebunden, da im Unterschied zum Stab persönliche Accessoires fehlen. Die wie afrikanische Kultobjekte aussehenden Stäbe und Munderweiterungen wirken statt dessen artifiziell, sie bedürfen weit mehr der Betreuung durch den Künstler als die in ihrer Funktion nachvollziehbaren Obdachlosen-Vehikel. Zudem verliert die Präsentation kein Wort darüber, wie Wodiczko überhaupt Kontakt aufnimmt mit den MigrantInnen (oder diese mit ihm?).
Das obere Stockwerk des Amsterdamer Stadthauses ist Arbeiten von vor 1980 gewidmet, etwa dem obskuren „Personal Instrument“. Lange vor Cyberspace und Datenhandschuh ließen sich mit lichtempfindlichem Fotozellen-Handschuh und einem Helm, der mit Mikrophon, Elektronik und Kopfhörern ausgestattet war, seltsame Klänge (oder Zustände) durch Hand- und Armbewegungen produzieren. Das 1979/80 entwickelte fahrbare Podium wiederum – ein Rednerpult auf Rädern – ließ den Sprecher durchs Dorf rollen, wobei die Stimmgewalt das Tempo bestimmte. Ein Sisyphos-Projekt auf High-Tech-Basis stellt das nur durch Skizzen vertretene „Vehikel für die Arbeiter“ dar, wobei sich der Wagen erst durch das Herauf- und Herabschieben einer Masse in Bewegung setzt. Die Höllenmaschine läßt sich weder nach links noch rechts steuern.
„Kunst könnte der erste Schritt einer neuen Form von Verständigung in einer nichtxenophobischen Gemeinschaft sein“, hat Wodiczko einmal gesagt. Er hat nach seiner Ausreise aus Polen zumindest in der Kunstgemeinde Unterschlupf gefunden und 1986 einen „resident alien“-Status in den USA erlangt. Ob dies auch weniger Privilegierten gelingt?
Bis 5. November im Amsterdamer Kunsthaus „De Appel“; eine Publikation soll Ende des Jahres erscheinen. Die Fundació Antoni Tàpies in Barcelona hat 1992 den Werkkatalog „Instruments, Projections, Vehicles“ herausgebracht: Tel. 0034-3-48 70 315, Fax 0034-3-48 70 00 09
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