Zwei Welten, kein Frieden

Der Sudan ist ein Land, das im Krieg entstand und zeit seines Bestehens nur den Krieg kennt. Unversöhnliche Kulturen und Herrschaftssysteme prallen aufeinander

Sudan im Jahre 1995: ein Land, das in Deutschland nur dann Aufsehen erregt, wenn einige seiner Bewohner unter beträchtlichen Risiken herkommen, um Asyl zu beantragen. Sie werden deportiert, streiten nach der Rückkehr in das Land ihrer Unterdrückung natürlich alles ab – und schon ist der Fall wieder vergessen.

Sudan im Jahre 1995: ein zweigeteiltes Land, wie bereits seit seiner Geburt. Entstanden aus dem imperialen britischen Griff von Ägypten aus an die Nilquellen, verbindet es Kulturen, die sich nie auf friedlichem Wege begegnen konnten. Im Norden, wo nur der kilometerbreite Nil unfruchtbare Wüstenebenen trennt, beherrschten Türken, Ägypter und Briten eine arabische Bevölkerung. Im Süden, wo der Nil sich mit seinen Nebenflüssen in endlosen Sümpfen verliert, lebten afrikanische Völker unter einfachsten Lebensumständen, sie kannten die Araber aus dem Norden nur als Sklavenhändler und die Weißen später nur als Kriegsherren und Missionare. Als der gesamte Sudan 1956 unabhängig wurde, kam es nicht zum Ausgleich zwischen Nord und Süd: Der Norden regierte weiter und kümmerte sich um den Süden nur, wenn der revoltierte. Bis heute.

Sudan im Jahre 1995: ein Land jahrzehntelangen Bürgerkrieges, von der seit sechs Jahren herrschenden Militärregierung mit gesteigerter Härte geführt. Das Regime von General Omar al-Baschir, gestützt von radikalen Islamisten, hat sich den völligen Umbau der Gesellschaft nach islamisch verbrämten korporatistischen Vorstellungen zum Ziel gemacht. Abweichung gilt als Apostasie und wird dementsprechend bestraft. Weil der Süden sich nicht beugt, wirft das Regime seine letzten Reserven ins Feld: sogenannte Volksmilizen, die zu großen Teilen aus Frauen bestehen. Sie sollen die Ordnung einer militarisierten Gesellschaft wahren helfen – und zusammen mit ihren Männern und Söhnen im Süden ihr Leben lassen.

Sudan im Jahre 1995: ein Land des Überlebenswillens, wo ganze Völker in einem von ihnen nicht anerkannten Staat versuchen müssen, ihre Kultur und ihre Geschichte vor der Auslöschung durch Krieg und Hunger zu bewahren. Seit alters her werden die Südsudanesen schon als Kinder mit dem Gebrauch der Waffe vertraut gemacht – früher Speere, heute Gewehre. Gegen wechselnde Herren haben sie gekämpft und auch untereinander: Der Kampf um knappe Ressourcen bestimmt ihr Leben, Frieden kennen sie nicht, auch nicht vom Hörensagen.

Sudan im Jahre 1995: ein militarisiertes Land, mit Waffengewalt zusammengehalten und von der Sprache der Waffen geprägt. Das Ausland schaut weg, wenn nicht gerade wieder einmal einige seiner Bewohner sich auf die lange Reise ins Exil begeben. Krieg im Sudan? Das war ja schon immer so...

Der Fotograf Michael von Graffenried hat Menschen des Sudan von heute aufgenommen. Er wurde 1957 in Bern geboren. Als Junge haßte er die Schule und fing an zu fotografieren, teilweise, wie er sagt, weil es ihm ermöglichte, sich im Freien aufzuhalten. Ein Studium an der Kunstschule beendete er nicht; er brachte sich die Kunst des Fotografierens autodidaktisch bei. Kritische Fotobände über die Schweiz machten ihn über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

Sein Interesse am Sudan wurde über den Umweg Algerien geweckt, wo er mit algerischen Fotografen eine Ausstellung organisierte. Die Kontakte, die sich daraus entwickelten, schlugen sich in einem weiteren Band mit dem Titel „Algerien – Der zerbrochene Traum der Demokratie“ nieder. Im Sudan, für viele islamistisch eingestellte Algerier das Modell eines funktionierenden islamischen Staates, fand er jedoch statt einer verwirklichten Utopie ein vom Bürgerkrieg zerstörtes Land vor. Graffenried lebt heute als freier Fotojournalist in Paris.