Müllabfuhr statt NS-Forschung?

Die CDU-Ratsmehrheit will das NS-Dokumentationszentrum „Villa Merländer“ schließen  ■ Aus Krefeld Bernd Müllender

„Ein Akt politischer Unmoral“, schimpft Rita Thies, die Vorsitzende des Fördervereins „Villa Merländer“, dem NS-Dokumentations- und Begegnungszentrum der Stadt Krefeld. Das Haus soll dichtgemacht werden, und nicht nur beim Förderverein ist die Empörung groß.

Aber bei der Krefelder CDU- Mehrheitsfraktion werden die Schultern gezuckt. Gerne, heißt es, gehe man der Villa wirklich nicht an die Mauern. Doch man müsse eben den maroden städtischen Haushalt konsolidieren, den Etat straffen, die Ausgabenstruktur umorganisieren.

Das verwinkelte großbürgerliche Haus repräsentiert Stadtgeschichte. Eigentümer war der schwule jüdische Seidenfabrikant Richard Merländer, von den Nazis nach Treblinka deportiert und dort 1942 ermordet. Das Haus dient der Öffentlichkeit heute als Ausstellungsort, für Vorträge und Theateraufführungen. Vor allem Schulklassen kommen oft hierher, um zu erfahren, wie es denn war mit dem Nationalsozialismus in der einst berühmten Textilstadt Krefeld. Eine Besonderheit im Hause sind die großflächigen Wandgemälde und Deckengewölbe des damals verfemten Expressionisten Heinrich Campendonk. Merländer rettete die Bilder, in dem er sie kurz vor seiner Vertreibung weiß überpinseln ließ. Erst 1989 wurden sie per Zufall wiederentdeckt.

Extra-Stelle für NS-Forschung ist Luxus

„Ein böser Schritt, der weh tut“ sei die Schließung schon, gibt Hans Peter Kreuzberg zu, der kulturpolitische Sprecher der CDU. „Eine Reduktion des Angebots“ sei aber unabwendbar, denn in keiner vergleichbaren Stadt gebe es den Luxus, „sich eine solche Extra-Stelle zur NS-Forschung zu leisten“, sagt der Mann, der ausgerechnet Geschichtslehrer und Gymnasialdirektor ist. So sollen ab kommenden Januar die beiden hauptamtlichen Mitarbeiter der Villa Merländer versetzt und das Gebäude haushaltslöcherstopfend weitervermietet werden. Oder – auch dies ist möglich – es werden andere städtische Stellen im Hause untergebracht. Denkbar sind Bedienstete vom Friedhofsamt oder womöglich von der Müllabfuhr.

Die Villa, erst 1991 unter rot- grüner Mehrheit eröffnet, wäre die einzige der zehn NS-Dokumentationszentren in Nordrhein-Westfalen, die wieder dichtgemacht werden würde. Angela Genger, die Vorsitzende der zehn NS-Gedenkstätten, sagt, es habe immer und überall „einen Minimalkonsens gegeben, daß diese Orte aus der Parteipolitik herausgehalten werden“ sollten.

Provoziert durch die öffentliche Debatte, wird das Haus neuerdings auch für ganz andere Kreise interessant. Bei einer Diskussion der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit im September kamen gezielt Rechtsradikale. „Eine verbal sehr aggressive Wandergruppe von Störern“ erlebte Villa-Leiterin Ingrid Schupetta. „Noch waren es nur Worte, aber auch so was hat es vorher nie gegeben.“ Sinnvolle Arbeit sei ohnehin kaum mehr möglich: „Wir hängen völlig in der Luft, können keine Veranstaltungen planen, keine Projekte. Ich kann nicht mal mehr einen Referenten einladen, wenn ab Januar Schluß ist.“ Nach vier Jahren Verhandlungen gibt es endlich die Zusage einer Stiftung über die notwendigen 80.000 Mark zur Restaurierung der Campendonk- Malereien. Aber nur, wenn das Gebäude nicht der Öffentlichkeit entzogen wird.

Größtes Finanzproblem der Stadt ist der Vertrag mit der privaten Eigentümerin über happige 70.000 Mark Miete im Jahr. Diesen Vertrag hatte die Stadt, wenn auch anfangs zu anderen Zwecken, noch 1989 abgeschlossen. Unter CDU-Ägide. Der Mietvertrag läuft bis 2019, zudem mit festgelegter Nutzung. „Brennend interessiert“ an einer Vertragsübernahme des denkmalgeschützten Hauses, sagt CDU-Kulturmann Kreuzberg zur taz, sei die Jüdische Gemeinde. Eine seltsame Hoffnung, denn diese hat längst abgewunken. Ohnehin wäre diese Art christdemokratisch-jüdischer Zusammenarbeit sehr pikant: eine Jüdische Gemeinde als Steigbügelhalter für die Schließung einer Nazi- Forschungsstätte.

Sparmaßnahme oder schwarzes Rollback

Finanzielle Gründe, sagen Kritiker, seien eh vorgeschoben. Politisch, argwöhnt Rita Thies, gehört das avisierte Ende der Villa zur „Strategie des schwarzen Rollback“ im traditionell konservativen Krefeld. Erst vergangene Woche kündigte die Jugend- und Sozialdezernentin Barbara Schwarz – ihre Kompetenzen waren durch eine Umstrukturierung der Verwaltung so beschnitten worden, daß sie sich kaltgestellt und weggeekelt vorkam. „Und die Gleichstellungsbeauftragte“, sagt eine wichtige städtische Bedienstete, „ist jetzt unter Putzfrauen abgelegt.“ Sehr gründlich wolle die CDU offenbar „den fünfjährigen Irrtum mit Rot-Grün in Krefeld“ (1989–1994) revidieren.

Die Villa Merländer als Opfer politischer Machtdemonstration? Der Kulturausschuß der Stadt will am 24. Oktober entscheiden.