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Europas Frauen-Urteil für Berlin ohne Folgen

■ Entscheidung hat kaum rechtliche Konsequenzen / Einzelfallprüfung

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), mit dem die automatische Bevorzugung von Frauen bei Einstellungen im öffentlichen Dienst für rechtswidrig erklärt wurde, hat in Berlin vorerst keine unmittelbaren rechtlichen Auswirkungen. „Wir haben stets auf die konkrete Prüfung des Einzelfalls gesetzt“, erklärte gestern die Frauenbeauftragte an der Freien Universität (FU), Christine Färber. Nach dem vom rot-grünen Senat verabschiedeten und Anfang 1991 in Kraft getretenen Berliner Landesgleichstellungsgesetz sind weibliche Bewerberinnen bei gleichwertiger Qualifikation bevorzugt einzustellen, wenn sie in entsprechenden Berufssparten unterrepräsentiert sind.

Das oberste europäische Gericht hatte sich gegen einen Passus in der Bremer Landesregelung gewandt, wonach Frauen immer und unbedingt der Vorzug bei Einstellungen im öffentlichen Dienst zu geben ist, solange sie nicht angemessen vertreten sind. Vorsichtig interpretierte gestern die FU- Frauenbeauftragte Färber das EuGH-Urteil. Das Gericht habe offenbar nicht mehr festgestellt, als in Berlin bislang ohnehin Praxis gewesen sei: eine „sehr starke Abwägung des Einzelfalls“. Die hiesigen Hochschulen hätten bei Bewerbungen und gleichwertiger Qualifikation nie automatisch die Frau eingestellt. Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) bezeichnete das Urteil als „frauenpolitischen Zynismus“, will aber zunächst den Wortlaut der Luxemburger Entscheidung abwarten. Die vom EuGH kritisierte „leistungsbezogene Quote“ sei nur ein Instrument der Förderung für Frauen. Jetzt müßten andere Maßnahmen verstärkt angewandt werden.

Weitaus verheerender als die rechtlichen sind nach Einschätzung der Frauenbeauftragten an den Hochschulen die politischen Konsequenzen des Urteils. „Wir müssen den männlichen Professoren, die an den Auswahlverfahren maßgeblich beteiligt sind, haarklein die Unterschiede gegenüber dem Bremer Gleichstellungsgesetz erläutern“, befürchtet Färber. Für die zentrale Frauenbeauftragte an der Technischen Universität, Heidi Degethoff de Campos, ist das Urteil „fürchterlich“. Die „pauschale und undifferenzierte“ Darstellung in der Öffentlichkeit könnte die frauenpolitische Diskussion zurückwerfen. „Das bringt uns in einen Rechtfertigungsdruck gegenüber den Männern, insbesondere an einer Universität wie der TU.“ Sie erinnerte daran, daß nur ein Drittel aller Professorenstellen an den Fachbereichen der TU von Frauen besetzt sind. Severin Weiland

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