: Peinlich, peinlich – aber keine ernste Krise
■ Der bevorstehende Rücktritt von Willy Claes macht der Nato wenig aus
Genf (taz) – Willy Claes wird heute wohl endlich zum Rücktritt vom Amt des Nato-Generalsekretärs gezwungen. Ein viel zu seltener Akt der demokratischen Reinigung in der korrupten politischen Landschaft EU-Europas. Juppé, Berlusconi, Lambsdorff und andere Flick-Gesellen – viel zu viele haben sich halten können.
Natürlich ist der Claes-Rücktritt peinlich für die Nato-Regierungen, die Claes vor einem Jahr trotz bereits damals vorliegender handfester Indizien für seine Verwicklung in den Schmiergeld-Skandal zum Nachfolger von Manfred Wörner beriefen und ihm – insbesondere die USA – bis zuletzt unverbrüchliche Treue signalisierten. Offensichtlich in dem Kalkül, die Agusta-Affäre werde sich von selbst erledigen. Was nur ein weiteres Symptom für die Korruptheit der politischen Klasse ist.
Den Rücktritt jedoch zur Krise der Nato zu stilisieren entspricht zwar dem fatalen Hang vieler Medien zur Personalisierung und damit Entpolitisierung von Politik, geht aber an der Sache vorbei. Weder die Nato-Rolle als Friedenstruppe in Bosnien noch künftige Entscheidungen zur Osterweiterung der Allianz hängen von der Person des Generalsekretärs ab.
So ist das wichtigste Kriterium für die Auswahl eines Nato-Generalsekretärs die weitestmögliche Neutralität im Geflecht der Interessen und (potentiellen) Gegensätze zwischen den vier wichtigsten Mitgliedsstaaten USA, Deutschland, Großbritannien und Frankreich. Claes, ein eher grauer Administrator ohne deutliches Profil, spielte diese Rolle gut. Sein Herkunftsland Belgien ist verläßliches Gründungsmitglied der Allianz und stolz, ihr Hauptquartier zu beherbergen; darüber hinaus aber ohne großes Gewicht unter den 16 Nato-Staaten und bei Konflikten etwa zwischen Washington und Paris oder zwischen Bonn und London keiner Seite eindeutig zuzurechnen.
Aus den genannten Kriterien scheiden bestimmte Namen aus, die in den letzten Tagen als potentielle Claes-Nachfolger gehandelt wurden. Andere, die durchaus Ambitionen hätten, wurden gar nicht erst genannt. Zum Beispiel David Owen. Der frühere britische Außenminister und EU-Vermittler für Jugoslawien ist immer noch ein rotes Tuch für Washington, nachdem er Washington heftig kritisiert hatte, weil die Clinton- Regierung den ursprünglichen Vance-Owen-Plan für Bosnien vom Frühjahr 1993 zu Fall gebracht habe. Da die Regierungen in Washington und London sowie die Geheimdienste beider Länder im Verlauf des Bosnienkonflikts zu häufig aneinandergeraten sind, sprechen ähnliche Gründe aus Sicht der Clinton-Regierung auch gegen den kürzlich zurückgetretenen britischen Außenminister Douglas Hurd. Auch Bonn wäre gegen einen britischen Generalsekretär.
Und gar nicht zu hören waren bisher Namen aus Spanien, Italien, Portugal oder gar Griechenland, dem langjährigen „Sorgenkind“ der Nato. Auch hier zeigt sich, welch geringes Gewicht der Süden Europas derzeit in der Nato hat.
Ein Generalsekretär aus Frankreich ist nicht möglich, solange das Land nicht in die militärische Integration der Allianz zurückkehrt. Und dafür gibt es unter Präsident Jacques Chirac noch weniger Anzeichen als in den letzten Amtsjahren seines Vorgängers François Mitterrand. Bleiben die Beneluxstaaten und Skandinavien. Belgien scheidet nach dem Desaster mit Claes für diese Runde aus. Luxemburg derzeit auch, weil mit Jacques Santer schon ein Luxemburger auf dem Stuhl des EU-Kommissionspräsidenten sitzt.
Aus den Niederlanden wurden die Namen des früheren Ministerpräsidenten Ruud Lubbers und Hans van den Broek ins Spiel gebracht. Van den Broek ist zur Zeit EU-Kommissar für auswärtige Beziehungen. Gegen die Niederlande spricht, daß sie in der Nato mehr Gewicht und eigenes Profil haben als Dänemark und Norwegen. Norwegens Ex-Außenminister Thorvald Stoltenberg, schon einmal Kandidat von Wörner, würde zwar gerne nach Brüssel ziehen – hat sich aber durch sein völliges Versagen als UN-Vermittler in Ex- Jugoslawien selbst aus dem Rennen gebracht. Voraussichtlich werden sich die 16 daher auf Uffe Ellemann-Jensen einigen, den ehemaligen dänischen Außenminister und derzeitigen Vorsitzenden der Liberalen Partei seines Landes. Um die Negativschlagzeilen über Claes' Rücktritt möglichst schnell vergessen zu machen, werden die 16 Außenminister der Nato die Entscheidung möglicherweise bereits am Wochenende treffen – am Rande der Feierlichkeiten zum 50. Geburtstag der UNO in New York. Andreas Zumach
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