piwik no script img

Zwischen Faschismus und Stalinismus zerrieben

■ betr.: „Einmal freier atmen“, taz vom 12. 10. 95

Gleich zu Anfang seiner Rezension von Ken Loachs „Land und Freiheit“ erwähnt Christian Semler, wie die Revolution und ihre Exponenten in Spanien durch moskautreue KommunistInnen liquidiert wurden. Um so erstaunlicher, daß Semler sich einige Zeilen später nicht zu schade ist, die Propaganda-Lüge der stalinistischen KP Spaniens zu kolportieren, die anarcho-syndikalistische Gewerkschaft CNT habe Zwangskollektivierungen durchgeführt. Zwar waren die AnarchistInnen unmittelbar nach der erfolgreichen Niederschlagung des Putschversuches der Franco-treuen Generäle 1936 die stärkste gesellschaftliche Kraft, weigerten sich jedoch strikt, diesen Vorteil gegen die anderen Organisationen im freien Teil Spaniens auszuspielen. Im Gegenteil: Sie beschlossen, gleichberechtigt mit den Organisatoren des linken und liberalen Spektrums zusammenzuarbeiten.

Grundsatz des von der CNT propagierten „Socialismo Libertario“ waren Machtverteilung von unten nach oben und Selbstverwaltung. Diese anarchistischen Prinzipien hatten in den Jahren vor der Revolution durch die kontinuierliche Arbeit und das Engagement der CNT innerhalb Spaniens eine weite Verbreitung gefunden, so daß sich nach dem gescheiterten Putschversuch etwa 80 Prozent der Kleinbauern und Tagelöhner in Eigeninitiative auf ehemaligen Großgrundbesitz zu über 1.000 Kollektiven zusammenschlossen, welche parallel unterschiedliche Modelle der Selbstverwaltung praktizierten. Die Mitgliedschaft in den Kollektiven beruhte auf Freiwilligkeit und jene, die sich keinem Kollektiv anschließen wollten, konnten weiterhin „privat“ wirtschaften.

Das spanische Experiment, der Versuch, ein Gemeinwesen ohne Staat, Unterdrückung und Ausbeutung zu errichten, scheiterte nicht an inneren Widersprüchen –die es zweifellos gab –, es wurde zerrieben zwischen Stalinismus und Faschismus, denen die parlamentarischen Demokraten tatenlos beiwohnten. Robert Wogatzke,

Initiative für eine Anarchistische

Föderation in Deutschland,

Ortsgruppe Krefeld

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen