piwik no script img

„Sie bemitleiden in erster Linie sich selbst“

■ Vater mißbrauchte seine Töchter – nun muß er für sieben Jahre in Haft

Immer wieder schüttelte der Angeklagte, der sich gestern vor der vierten Strafkammer des Landgerichts u.a. wegen sexuellem Mißbrauchs an seinen beiden Töchtern verantworten mußte, den Kopf. Jahrelang soll der ehemalige Kraftfahrer seine Kinder mißbraucht haben. Die „Atmosphäre in dieser Familie war von Terror und Gewalt geprägt“, sagt der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Der Angeklagte schüttelt energisch den Kopf.

1980 ließ sich seine Frau scheiden. Ihr Mann habe sie und die Mädchen häufig geschlagen. 1983 zog die Frau wieder zu ihrem Ex-Mann, „damit die Kinder nicht ohne Vater aufwachsen“. Etwa zwei Jahre später mißbrauchte der Angeklagte seine damals vermutlich 13jährige Tochter das erste Mal. Fortan zwang er sie etwa zwei Mal pro Woche zum Geschlechtsverkehr. Wenig später fing er an, auch seine ältere Tochter zu mißbrauchen.

Er installierte eine Abhöranlage im Haus, mit der jedes Zimmer abgehört werden konnte. Er belauschte die Telefonate seiner Töchter und öffnete ihre Briefe. Als die jungen Frauen später berufstätig waren, mußten sie von ihrem Lohn bis auf 300 Mark alles zu Hause abgeben. Der Vater holte seine Töchter in der Mittagspause von der Firma ab und brachte sie wieder zurück. Mehrmals versuchten die beiden Frauen, heute 22 und 24 Jahre alt, sich das Leben zu nehmen.

„Sie haben keine ehrliche Reue gezeigt“, fährt der Staatsanwalt fort. Stattdessen hätte der Angeklagte den Töchtern aus der Untersuchungshaft geschrieben, er habe ihnen „verziehen“. Schließlich sei der Geschlechtsverkehr im „gegenseitigen Einverständnis“ geschehen. „Das ist geradezu eine Unverschämtheit.“ Der Angeklagte beugt sich weit vor, als er die Worte des Staatsanwaltes hört. „Das war aber so“, raunt er leise und schüttelt den Kopf. Acht Jahre Haft hält der Staatsanwalt für unbedingt erforderlich. „Ich weiß allerdings nicht, ob das eine angemessene Sühne ist. Schließlich haben Sie ein Jahrzehnt des Lebens ihrer Töchter zerstört.“ Wieder schüttelt der Angeklagte den Kopf.

„Sie haben ihre Töchter geschlagen, getreten, sie gedemütigt, erniedrigt, sie als Schlampe und Nutte beschimpft. Selten haben Sie ein Kondom benutzt. Eine Schwangerschaft haben Sie billigend in Kauf genommen. Sie hätten ihre Töchter dann zur Abtreibung geschickt...“ Während des Plädoyers der NebenklägerInnen-Vertreterin läßt der Angeklagte den Blick über die verzierten Fenster des Schwurgerichtssaals gleiten. Ab und an schüttelt er den Kopf.

Erst als sein Verteidiger das Wort ergreift, ringt der Mann um Fassung. „Ich bitte das Gericht zu bedenken, daß bei einem solchen Delikt jeder Tag in Haft für zwei zählt“, sagt sein Anwalt. Der Angeklagte nickt heftig. Wer solche Taten begangen habe, sei im Knast mit einem „Stigma“ belastet. „Ich glaube nicht, daß mein Mandant das persönlich durchsteht.“ Der Angeklagte bricht in Tränen aus. „Nein“, schluchzt er leise. „Das schaff' ich nicht.“ Sein Mandant habe sich den Töchtern „als Liebhaber genährt – zärtlich und nicht mit Gewalt“, fährt der Anwalt fort. Der Angeklagte zieht ein Papiertaschentuch aus der Hosentasche und schnäuzt sich geräuschvoll die Nase.

Zwei Jahre auf Bewährung, fordert der Verteidiger schießlich. Sein Mandant sei nicht vorbestraft und geständig. „Hätte ich die Sache durchdacht, hätte ich das nicht getan“, beteuert der Angeklagte, als ihm das letzte Wort erteilt wird. Doch das Gericht glaubt ihm nicht und verurteilt ihn u.a. wegen sexuellen Mißbrauchs zu sieben Jahren Haft. „Wir waren entsetzt. Entsetzt nicht nur über das Tatgeschehen, sondern auch darüber, wie der Angeklagte dazu steht“, begründet der Vorsitzende Richter das Urteil. „Sie bemitleiden in erster Linie sich selbst. Sie haben nicht begriffen, was sie angerichtet haben. Sie sollten sich was schämen, Herr G.“, sagt der Richter scharf. Der Angeklagte starrt ihn an. In den nächsten Minuten scheint er der Urteilsbegründung aufmerksam zu folgen. Den Kopf schüttelt er nicht mehr – nicht ein einziges Mal. kes

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen