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Versteckte Drohungen mit Gewalt

■ In Elfenbeinküste wird am Sonntag ein neuer Präsident gewählt. Doch die Opposition ruft zum Boykott auf. Jeden Tag kommt es zu neuen Anschlägen

Abidjan (taz) – Ein angekohlter Kühlschrank steht in der Ecke, der Boden ist bedeckt mit schwarzer Asche, und über dem Schreibtisch baumelt die geschmolzene Plastikverkleidung der Neonröhre im Wind. „Das ist mein Büro“, sagt Martin Sokoury, Geschäftsführer der Tageszeitung La Voie. Arbeiten kann er dort nicht mehr: Auf das Organ der „Ivoirischen Volksfront“ (FPI), der größten Oppositionspartei der Elfenbeinküste, wurde in der Nacht zum Dienstag ein Anschlag verübt. Ein Auto hielt vor dem Gebäude, die Insassen schmissen eine Brandbombe durch das Fenster und brausten davon. Das Archiv und mehrere technische Geräte wurden zerstört. „Es war eine Provokation der Regierung“, sagt Chefredakteur Aboubacar Sidick Diabaté. „Sie wollten uns mit der Bombe zum Schweigen bringen, aber sie haben das falsche Fenster getroffen. Hätten sie den Computerraum erwischt, wäre es aus mit uns.“

La Voie erscheint immer noch. Aber wenige Tage vor den Präsidentschaftswahlen am Sonntag ist die Lage in Elfenbeinküste zum Zerreißen gespannt. Jeden Tag werden Anschläge und Gewalttaten gemeldet, Oppositionsanhänger sperren Straßen und organisieren Aufmärsche trotz eines Demonstrationsverbots. Der Anschlag auf La Voie folgte auf einen ähnlichen Angriff auf das Staatsfernsehen. Parteibüros der FPI und der Regierungspartei PDCI gehen regelmäßig in Flammen auf. Prominente Oppositionspolitiker fürchten Attentate oder Verhaftung, setzen sich ins Ausland ab oder gehen in den Untergrund.

Der Nordwesten des Landes ist praktisch unregierbar geworden: Die meisten Straßen der Gegend sind abgesperrt, ein Protestmarsch in der Stadt Gagnoa artete am Donnerstag in Plünderungen aus, und am gleichen Tag starben in einem Dorf 18 Menschen, als Angehörige des Bete-Volkes ihre Gegner aus dem Baoulé-Volk angriffen. Zu den Baoulé gehört Staatspräsident Henri Konan Bedié, FPI-Führer Laurent Gbagbo ist Bete.

Der Grund der Unruhe: Die in der „Republikanischen Front“ (FR) zusammengeschlossene Opposition will die Präsidentschaftswahl verhindern. Sie protestiert damit gegen ein Wahlgesetz, das dem populärsten Oppositionspolitiker Alassane Ouattara die Kandidatur aufgrund seiner angeblich ausländischen Abstammung verbietet. Die FPI ist überzeugt, daß diese Klausel nur eingeführt wurde, um Ouattaras Kandidatur zu verhindern. Der Ökonom und Ex-Premierminister hatte im Frühjahr mit PDCI-Dissidenten eine neue Partei gegründet und wollte mit dem erfahrenen FPI-Führer Laurent Gbagbo ein Wahlbündnis schließen. Da Ouattara nicht antreten durfte, meldete auch Gbagbo keine Kandidatur an. „Wir wollen saubere Wahlen“, sagte er zur Begründung. Nun kandidiert gegen Präsident Bedié nur der einflußlose Francis Wodié von der kleinen „Ivoirischen Arbeiterpartei“.

„Glück für jeden – Fortschritt für alle!“ heißt es auf den allgegenwärtigen Wahlplakaten, die den „Ökonom und Pflanzer“ Bedié dem Volk näherbringen wollen. Offensichtlich bestens finanzierte Bedié-Unterstützerkreise, die über Kolonnen frischgestrichener schwerer Lkws verfügen, organisieren teure Wahlveranstaltungen mit Soundsystemen und grellem Flutlicht. Aber es ist eigentlich kein Wahlkampf, denn durch den Oppositionsboykott kann Bedié die Wahl nicht verlieren, und wählen zu gehen ist jetzt gleichbedeutend mit der Unterstützung der Regierung. Der Präsident, der im Dezember 1993 als Parlamentspräsident automatisch die Nachfolge des verstorbenen Felix Houphouet-Boigny antrat, braucht zur erhofften Legitimation als gewählter Staatschef nur noch eine möglichst hohe Wahlbeteiligung. Die in der FR zusammengeschlossene Opposition will genau dies verhindern und ruft seit Anfang der Woche zu Massenaktionen im Rahmen eines „aktiven Boykotts“ auf.

„Beide Seiten sind auf ihren Positionen festgefahren“, sagt Diegou Bailly, Chef der ivoirischen Journalistenvereinigung. „Die Lage ist total blockiert. Für Bedié kommt es darauf an, als Präsident bestätigt zu werden. Die Opposition verlangt die Rücknahme des Wahlgesetzes und will, daß die PDCI die Macht abgibt.“ Ein letzter Vermittlungsversuch scheiterte am vergangenen Wochenende: Ein Kollektiv von Kirchen, Gewerkschaften und sozialen Organisationen brachte den Vorschlag ein, die Wahl um eine Woche zu verschieben, um in dieser Zeit die von der FR für fehlerhaft gehaltenen Wählerlisten zu überprüfen. Die FR solle im Gegenzug den Boykott aufgeben. Sie erklärte sich damit einverstanden – die Regierung lehnte ab. „Man hat es versucht“, resümiert Bailly. „Wenn die Lage so ist, wie sie jetzt ist, dann weil die Regierung es so will.“

Die Regierung sieht das anders. Das „Lager der Verweigerung“ führe die bisher immer friedliche Elfenbeinküste in Gewalt und Chaos, sagt PDCI-Generalsekretär Laurent Dona-Fologo auf einer Pressekonferenz. „Wir verurteilen jede Gewalt, von wem auch immer.“ Und er droht: „Niemand kann unsere Anhänger davon abhalten, am 22. Oktober wählen zu gehen. Gegenüber den Einschüchterungen der Minderheit müssen wir organisiert, mobilisiert und wachsam bleiben.“ Die versteckte Warnung vor bewaffneter Gewalt wird von beiden Seiten eingesetzt. Die Regierung will damit die Opposition diskreditieren – die Opposition hofft, daß die Menschen am Sonntag aus Angst einfach zu Hause bleiben. Dominic Johnson

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