: Heilig, heilig: der Kuß
■ Fotoinstallation übers Küssen in Bremerhaven
Wenn im Kino der 50-er Jahre die Leidenschaften ihren Höhepunkte ereichten und zwei Gesichter in Großaufnahme zum Kuß ansetzten, denn wurde abgeblendet, kaum, daß das intime Liebesspiel begonnen hatte. Nur die schlechteren Filme hielten sich nicht an die strengen Regeln des Melodramas und verwandelten den schönen Augenblick in grenzenlosen Kitsch.
Der Hamburger Künstler Echard Karnauke macht dort weiter, wo die Bilder damals aufhörten. Im abgedunkelten Raum der Bremerhavener Kunsthalle projezierte der 38-jährige als Dia-Serie Sequenzen einer langen Kußszene an die Wand. Festgehalten sind zwei Gesichter, überlebensgroß, zwei Küssende, einen Mann und eine Frau mit geschlossenen Augen, zwei Münder, weit oder wenig geöffnet, aufeinandergepreßt, leicht aneinandergelegt oder wenig entfernt.
Die Küssenden sind nicht zu identifizieren, sie sind nichts als Wangen, Ohren, Nasen und Lippen, aber ihr Spiel strahlt innige Verbundenheit aus. Gelassen und konzentriert, ernst und lächelnd, hart und zart, wird hier äußerste Nähe in Szenen gesetzt, endlos wiederholt, verliert sie dennoch nicht an sinnlicher Kraft. Karnauke läßt an der gegenüberliegenden Wand Dutzende von Namen vorüberlaufen, jeweils einen allein, als ob jeder oder jede am Kuß beteiligt sein könnte. Er unterlegt der Szene leise Sakralmusik, durchsetzt mit Donnergrollen, so wird der Raum zum Tempel, der pure Kuß zum heiligen Akt.
Aber wie Karnaukes strenge Kunst der Widerholung Kitsch und Voyeurismus vermeidet, das ist atemberaubend faszinierend. Die wenigen anderene Bilder der Ausstellung, u.a. Collagen zwischen Budda- Figuren und Großstadtandsichten, müssen notwendig vor dieser starken Szenen verblassen.
Hans Happel
Die Fotoinstallation von Eckard Karnauke ist noch bis zum 12.11.95 in der Kusthalle, Karlsburg 4, im Kunstverein Bremerhaven zu besichtigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen