: Den Kandidaten geht es an den Kragen
■ Zwei kommerzielle Plakateaufsteller motten ab heute über 2.000 Wahlkampf-Werbetafeln wieder ein / Parteien beklagen mutwillige Zerstörungen und organisierte Überklebe-Aktionen / Plakatschändern droht d
Kaum gab es gestern die erste Wahlhochrechnung, ging es den Tausenden Diepgens und Stahmers, die seit sechs Wochen von riesigen Stellflächen aus papiernen Wahlkampf machten, an den Kragen. Ab 18 Uhr wollte die Firma Wesselmann aus Bochum, seit 30 Jahren im Wahlplakatgeschäft, beginnen, die 1.000 SPD- und 1.000 CDU-Stellwände abzunehmen, zu reparieren und einzulagern. „Viele wurden von Andersdenkenden zerstört“, beklagt Hans-Bernd Wesselmann. Doch im Vergleich zu anderen Wahlen halte sich der Schaden bei den 2,50 mal 3,50 Meter großen Tafeln in Grenzen.
Die FDP- und PDS-Werbung dagegen überdauerte den Wahltag. Erst heute morgen wollte sich die Firma Schmeer aus Bielefeld dranmachen, deren Stellflächen zu entfernen. Schmeer ist die Nummer zwei im Wahlplakategeschäft und verdient seit zwanzig Jahren damit ihr Geld. „Wir sind harte Konkurrenten“, beschreibt Inhaberin Liselotte Schmeer das Verhältnis zu Wesselmann, der die großen Parteien bedient. „Doch dafür sind wir klein und fein.“ Im Vergleich zu Wesselmann hat Schmeer weitaus weniger Arbeit in Berlin. Die FDP orderte gerade einmal 34 Großplakate in Bielefeld, die PDS zwanzig der 3,5 Zentner schweren Tafeln. Insgesamt verfügt Schmeer über etwa tausend Werbeträger, die in der Herstellung je 650 Mark kosten. Wieviel für die Aufstellung der Plakatwände zu berappen ist, darüber schweigt sich Schmeer ebenso aus wie Wesselmann. „Wesselmann ist doppelt so teuer wie wir“, heißt es. Ansonsten seien die Preise von Partei zu Partei und Land zu Land verschieden. Während Wesselmann die CDU- und SPD-Plakate bis zur nächsten Wahl in Berlin einlagert, wandern die FDP- und PDS-Tafeln zum Einmotten nach Bielefeld.
Auch die Auftraggeber hüten das Geheimnis der Geschäftsvereinbarungen mit den kommerziellen Plakatierern. „Sicher gibt es Rabatte“, räumt der Pressesprecher des CDU-Landesverbandes, Marco Hardt, ein. Doch über deren Höhe schweigt er sich aus.
Während die CDU-Stellflächen die sechs Wahlkampfwochen relativ unbeschadet überstanden haben, so Hardt, sei ein großer Teil der 15.000 kleinen Plakate richtiggehend „abgeräumt“ worden. Hardt spricht von „organisiertem Diebstahl“. Interessanterweise hätten sich die Wahlparolenräuber nicht nur auf PDS-starke Bezirke konzentriert, sondern auch auf Charlottenburger Straßen ihr Unwesen getrieben.
„Die das organisiert betreiben und mit dem Bus unterwegs sind“, so Hardt weiter, „lassen sich nicht erwischen.“ Würden aber Vermummte oder radelnde Plakatschänder in die Fänge der Polizei geraten, obliege es der Partei, Anzeige zu erstatten. Wieviele Anzeigen erstattet wurden, konnte Hardt nicht sagen. „Die Verfahren laufen noch.“ Zur Abschreckung nur soviel: Bei der letzten Wahl wurden zwei Jugendliche zu einem eintägigen Praktikum bei der CDU verdonnert. „Damit sie etwas mehr Respekt vor dem Aufwand und was hinter der Partei steckt, bekommen“, so Hardt.
Auch die SPD hat jede Menge zerstörte Plakate zu beklagen. Schwerpunkte lagen in Mitte und Wilmersdorf. Bei Bündnis 90/Die Grünen, die auf große Stellflächen ganz verzichtet haben, überlebten von den fast 10.000 Plakaten mehr als bei der letzten Wahl.
Bei der gebeutelten FDP mit 4.000 Stück Laternenmasten-Werbung und 10.000 Holzaufstellern neben 34 Großflächen, ist das Resümee niederschmetternd. Über die Hälfte der Plakate, insbesondere von der PDS, sei zerstört oder überklebt worden, so Ilona Klein.
So konstatiert denn auch PDS- Wahlkampfleiter Jens Peter Hoyer einen „gutgelaufenen Wahlkampf“. Auch wenn bei seiner Partei etwa dreißig Prozent der 35 Stellflächen, 350 Plakatwände und 25.000 Plakate zerstört und überklebt worden seien, sei das nichts im Vergleich zur Bundestagswahl. Da sei es das Doppelte gewesen. Barbara Bollwahn
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