: Umbau eines Auslaufmodells
■ Ein rot-grüner Staat ist mit der SPD nicht zu machen
„Rot-Grün ist ein auslaufendes Modell“, so Walter Momper nach der verlorenen Wahl 1990. Auch wenn sich der einstige Berliner SPD-Spitzenmann in den letzten Monaten für die Gegenthese stark machte – seine Partei hat alles getan, um die Prognose Wirklichkeit werden zu lassen. 23,6 Prozent, damit ist kein rot-grüner Staat zu machen.
23,6 Prozent, jetzt weiß die SPD endlich, wie groß die Zahl ihrer Getreuen ist. Jener, die sich durch ein unfähiges Personal ebensowenig schrecken lassen wie durch unzeitgemäße Programme, denen gleich ist, ob die Partei nun modern oder sozialdemokratisch ist, ob sie von einer, von drei oder von gar keiner Person geführt wird. Es sind, kurz gesagt, diejenigen, betrachtet man sie im Lichte der letzten Parteiaktivitäten, die die SPD trotzdem wählen.
23,6 Prozent, das ist keine Volkspartei mehr. Wollte sie die Anwartschaft auf diesen Titel aufrechterhalten, so müßte die SPD auf mehr verweisen als auf ihre große Vergangenheit. Sie müßte vorgeben, wie sie ihre klassische Arbeiterklientel halten und zugleich mobile Mittelschichten gewinnen will, müßte sagen, wie sie den Sozialabbau stoppen und den Standort ausbauen will. Und sie müßte vor allem glaubhaft machen, mit welchem Personal sie diese Aufgabe bewältigt. 23,6 Prozent, die SPD mag darin ihre Stammwählerschaft erkennen, doch die Metapher trügt. Die Wählerschaft kann weiter schrumpfen. Die Partei muß sich neu orientieren, doch jede Neuorientierung birgt die Gefahr, daß ein Teil der Klientel verprellt wird. Aus Angst davor hat die SPD selbt die Debatte darum vermieden. Die Grünen sehen sich nun als Protagonisten einer Reformperspektive, der die Machtbasis abhanden gekommen ist. Darob ist ihnen der sozialdemokratische Schrecken in die Glieder gefahren.
Weil sie die eigene Entwicklung nur noch in Kategorien der Machtkoalition denken, läßt sie die Angst vor einer dauerhaften Schwäche des Bündnispartners um dessen Wohl bangen, wo es gälte, geräumtes Terrain zu besetzen. Dazu müssen sie, denen früher innerhalb rot-grüner Bündnisse der Part des unsicheren Kantonisten zugewiesen wurde, auf Feldern Stabilität zeigen, denen sie in ihrer Arbeit bislang wenig Aufmerksamkeit widmeten. Solchermaßen wird die Krise der SPD zwar auch bei den Grünen Auseinandersetzungen evozieren, doch ermöglichten diese eine Machtverschiebung innerhalb des rot-grünen Modells. Und das wäre lohnenswerter, als andere Farbkonstellationen anzustreben. Dieter Rulff
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