: Stahmer spielt mit Bögers Zukunft
SPD-Fraktion verschiebt Wahl ihres Vorsitzenden. Stahmer schließt Kandidatur gegen Fraktionschef Böger nicht aus. SPD-Kreisverbände diskutieren über die Oppositionsrolle ■ Von Dirk Wildt
Die gescheiterte SPD-Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer hält sich nach der Wahl alle Optionen offen. Sie wollte sich gestern weder auf eine Fortsetzung der Koalition mit der CDU noch auf den Marsch in die Opposition festlegen lassen. Vor der ersten Sitzung der neuen SPD-Fraktion am gestrigen Nachmittag wollte sie nicht einmal die Möglichkeit ausschließen, für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren.
Ihr Abgeordnetenhausmandat werde sie vorerst jedenfalls nicht zurückgeben, meinte Stahmer. Nur wenn sie wieder Senatorin würde, mache sie ihren Platz im Parlament für einen Nachrücker frei. Die für kommende Woche vorgesehene Wahl des SPD-Fraktionschefs ist kurzfristig auf die Zeit nach dem Sonderparteitag in zwei Wochen verschoben worden. Bislang hat nur der jetzige Vorsitzende Klaus Böger seine Kandidatur angemeldet. Der schloß gestern noch aus, daß Stahmer gegen ihn antreten werde: „Wir haben engen Kontakt, bei mir hat Ingrid noch kein Interesse am Vorsitz bekundet.“ Die Wahl sei lediglich aus „atmosphärischen Gründen“ auf die Woche nach dem Parteitag geschoben worden, sagte Fraktionssprecher Peter Stadtmüller. Der Parteitag könnte sich sonst fälschlicherweise vor vollendete Tatsachen gesetzt sehen.
Daß der Termin verschoben wurde, um Stahmer Zeit für ihre Überlegungen zu geben, schloß der Sprecher aus. Die Jungsozialisten wiederum forderten gestern ausdrücklich, Stahmer zur Fraktionsvorsitzenden zu machen. Mit ihr an der Spitze sollen die Sozialdemokraten in die Opposition gehen. Doch öffentlich ließ sich keiner der alten oder neuen Fraktionäre von dieser Idee begeistern. Der Neuköllner Abgeordnete Hermann Borghorst spielte den Vorschlag herunter: „Die Jusos stellen immer radikale Forderungen.“ Der jetzige Fraktionschef sei ausgezeichnet: „Ich stehe zu Böger.“
Während sich alte wie neue Fraktionsmitglieder bei der Frage zurückhielten, ob die SPD mitregieren oder opponieren sollte, kamen von der Basis deutlichere Töne. Der Kreisvorstand „kann sich derzeit keine Große Koalition vorstellen“, lautet der Beschluß, den der Kreisvorsitzende Rudolf Kujath vergeblich verhindern wollte, den aber 19 Vorstandmitglieder befürworteten und nur vier ablehnten.
Nach einer Umfrage der Nachrichtenagentur dpa ist die Stimmung in Neukölln und Kreuzberg ebenfalls gegen eine Regierungsbeteiligung. „Dafür sitzt alles viel zu tief“, sagte Walter Momper, der nicht wieder in das Abgeordnetenhaus einzieht. Kreuzbergs Kreisvorsitzender Hans-Christoph Wagner meinte, die SPD müsse erstmal sehen, wie sie wieder auf Kurs komme. Nach der Umfrage soll es nur einen Kreisverband geben, der die Große Koalition derzeit fortsetzen will: Pankow. Der stellvertretende Kreisvorsitzende von Pankow, Torsten Hilse, bezeichnete das Bündnis mit der CDU als „kleineres Übel“.
Nicht einmal die derzeitigen SPD-Justiz- und Arbeitssenatorinnen wollten sich gestern – im Gegensatz etwa zu SPD-Bausenator Nagel – eindeutig zur Koalitionsfrage äußern. Lore-Maria Peschel- Gutzeit meinte: „Jetzt ist die Basis gefragt.“ Christine Bergmann, die in Hellersdorf eins der drei SPD- Direktmandate holen konnte, lehnte eine Stellungnahme ab.
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