: "Das nenne ich Respekt"
■ Jazz-Messenger, Weltreisender, Mann mit der Taschentrompete - der am vergangenen Freitag gestorbene Don Cherry hat seinen Spaß an kleinen Experimenten und neuen Leuten nie verloren. Das letzte große Interview gab e
Viele Musiker Ihrer Generation sind heute verbittert. Sie dagegen planen eine Tour zusammen mit Ihren fünf Kindern. Woher nehmen Sie diese Positivität?
Ich bin nicht verbittert, weil ich mich auf meine Musik konzentriere. Ich habe allerdings persönliche Probleme, speziell solche, die mit dem Älterwerden zu tun haben. Seit fünf Jahren kann ich nicht mehr rollerskaten, weil ich Probleme mit meinen Beinen habe. Und dann ist mir vor einigen Jahren ein Auto über meinen rechten Fuß gefahren, seitdem kann ich auch nicht mehr richtig tanzen. Und das ist sehr schade, weil ich am liebsten in die World-Music- Disco in meiner Gegend gegangen bin, um zu tanzen. Aber vor allem habe ich Probleme mit meinen Zähnen. Ich kann heute nicht mehr Trompete spielen.
Das kann ich nicht glauben...
Miles hat das erlebt und Dizzy auch – die typische Trompeterkrankheit. Vor zwei Jahren habe ich ein Gebiß bekommen, und ich mußte fünfzehn verschiedene Klebstoffe ausprobieren, bis ich schließlich in Schweden einen fand, der mein Gebiß einigermaßen so hält, daß ich überhaupt mal wieder die Trompete ansetzen konnte. Aber ich fühle mich so, als hätte ich nie zuvor Trompete gespielt. Eigentlich müßte ich ganz von vorn anfangen, Trompete zu lernen. Jeder Ton, der aus meinem Instrument kommt, überrascht mich selbst. Meine Kinder haben mich ermutigt weiterzumachen. Dennoch werde ich in nächster Zeit mehr Keyboard spielen. Und hoffen, daß die Probleme mit meinen Händen nicht schlimmer werden. Manchmal sind sie ganz steif.
Wie sieht Ihr Leben in San Francisco aus?
Ich wohne in Castro, der Neighborhood, wo auch die Homosexuellen leben, zwischen dem Schwarzen- und Hippieviertel gelegen. Und gleich um die Ecke von meiner Wohnung beginnt das Mission- Viertel, wo die Latins leben. Eine tolle Szene – Santana, John Lee Hooker und Pharoah Sanders, der allerdings gerade wieder nach New York gezogen ist. Als ich vor einigen Jahren in New York lebte, wohnte ich in der Lower East Side. Wenn ich aber im Village Vanguard oder den anderen Jazzclubs arbeitete, mußte ich zur Lower West Side rüber. Das habe ich immer mit meinen Rollerskates getan. Dafür war ich bekannt, Flöte spielend auf den Rollerskates zwischen East und West zu pendeln.
Sie sind viel gereist in Ihrem Leben: Asien, Afrika, davor auch Paris, vor kurzem Brasilien ...
Bevor wir 1959 nach New York gingen, habe ich auch mal mit Billy Higgins und Leroy Vinnegar in Hollywood gespielt. Da hatte ich meine Taschentrompete noch nicht lang. Und eines Tages klopft mir von hinten einer auf die Schulter – das war Miles Davis, der meine Pocket spielen wollte. Und er blieb die ganze Nacht. Er spielte für mich, ich spielte für ihn, und die Rhythmusgruppe war really cookin'. Später in New York, als wir mit Ornette im Five Spot spielten, war Miles auch gelegentlich im Publikum. Der Kellner reichte mir einen Zettel auf die Bühne, auf dem stand: „Can I play your horn? – Miles.“
Wie sind Sie zur Minitrompete gekommen?
Meine erste Pocket Trumpet kam aus Pakistan, und Red Mitchell lieh mir damals Geld dafür, weil ich keins hatte. Meine jetzige Pocket gehörte früher Boris Vian. Ein Freund von ihm gab sie mir später aus dem Nachlaß. Ornette spielte damals Plastik-Saxophon, und jetzt habe ich gerade Manu Dibango gehört – auf einem Plastik- Sax – perfekt!
Warum gingen damals so viele amerikanische Musiker nach Europa?
Weil wir spielen wollten. Und es in Amerika keine Auftrittsmöglichkeiten gab. Oder deine Musik nicht akzeptiert wurde. Ornette hatte mir ganz früh schon gesagt, daß man als Avantgarde-Free- Jazz-Spieler keine Chance mehr bekäme, etwas anderes zu tun. Genauso war es. Aber ich wollte noch viele andere Dinge machen. Das konnte ich nur in Europa. Als ich 1970 wieder nach Europa ging, um in Schweden zu leben, hatte das mit dem Vietnamkrieg zu tun. Da hielt ich es aus politischen und ethischen Gründen in Amerika einfach nicht mehr aus. Ein anderer Grund, warum ich nach Schweden ging, war, daß ich lernen wollte, in der Natur zu leben. Das war schon immer ein Traum von mir. Tiere um sich zu haben, Holz im Kamin und einen Garten, in dem man die Nahrung pflanzt und erntet. Das sind meine indianischen Wurzeln. Ich wollte auch, daß meine Kinder anders aufwachsen als ich. Ich mußte meinen Vater, wenn er denn mal zu Hause vorbeikam, Daddy nennen. Meine Kinder nennen mich Don. Das ist nicht so entfremdet, nicht so unpersönlich. Oder daß man dem Vater nur zuhören soll, aber nie zusammen spricht. Das sind Dinge, die ziemlich kaputt sind. In Schweden darf man Kinder nicht schlagen. Dafür kann man in den Knast kommen. Also lernt man, geduldig zu sein. Und erfährt, daß sie einen wirklich brauchen.
Wovon haben Sie gelebt?
Wir lebten und reisten in einem Kleinbus. Danach kauften wir uns ein Haus in Südschweden. Dort habe ich sehr viel unterrichtet, das war eine irre Erfahrung. Ich hatte dort an die 200 Studenten. Wir hatten da sehr viel Raum für Experimente. In Amerika gibt es leider Kultur nur als Ware, nicht als kreatives Experiment. Wen du kein Geld hast, zum Zahnarzt zu gehen, gammeln deine Zähne eben vor sich hin. Ende der Fünfziger in New York konnte ich meine Kinder nur noch von Donuts ernähren.
Und sie sind trotzdem Musiker geworden?
Vier meiner Kinder sind im HipHop-Business tätig. Sie leben in Brooklyn und Dänemark und machen längst selbst schon Platten. Neneh, die ich demnächst in Spanien besuchen werde, ist ja sogar richtig erfolgreich. Sie ist meine Stieftochter. Ihr richtiger Vater ist ein afrikanischer Ingenieur, der in Stockholm lebt. Neneh wollte nicht mehr zur Schule gehen, als der Lehrer ihr Lächeln nicht erwiderte. Später war sie mal mit ihrem Vater in Afrika. Dort hat sie sehr viel gelernt. Auf jeden Fall kann sie seitdem unheimlich gut kochen. Meine älteste Tochter ist Geigerin und leitet ein afroamerikanisches Streichquartett – eine sehr seltene Sache bislang. Ornette und Cecil Taylor komponieren für sie. Ich bin sehr stolz auf meine Kinder, sie kommen auch sehr gut miteinander aus und arbeiten gelegentlich sogar zusammen. Meine Töchter haben inzwischen selbst Töchter, ich habe vier Enkelinnen, aber meine Söhne haben bislang noch keine Kids.
Was unterscheidet die jüngeren von den Musikern Ihrer Generation?
Sie sind nüchterner, abgeklärter und ernsthafter irgendwie, und sie kennen sich aus mit Gesetzen und Geschäften. Nimm zum Beispiel Madonna, die versteht viel vom Geschäft. Auch Ornette Colemans Sohn kennt sich da gut aus. Das ist eine ganz neue Generation mit einer anderen Lebenshaltung, als wir sie hatten.
Fehlt Ihnen manchmal der Respekt für Ihre Generation? Der Zugang zur Musik der 60er und die Verquickung mit den politischen Ereignissen dieser Jahre?
Ich habe meine Kids nicht zu Musikern erzogen. Sie kamen dazu aus freien Stücken. Und je mehr Musik sie hörten, desto mehr fragten sie mich. Über die Grundlagen, über Akkordwechsel und all das. Das nenne ich Respekt. Auch wenn sie unsere Musik heute sampeln – das ist eben ihre Art von Respekt. In Amerika wissen die Schwarzen längst nicht soviel von der Geschichte der Black Music wie die Europäer oder Japaner. Das ist eine große Schande, aber schließlich ist sie ihnen auch kaum präsentiert worden. Wer sich also heute bemüht, den Schwarzen die Informationen über ihre Kultur näherzubringen, tut etwas sehr Sinnvolles. Das bewerte ich also durchaus positiv an der gegenwärtigen Entwicklung im Jazz. In der Black Community gibt es verschiedene Arten von Respekt. Man schüttelt sich die Hände oder grüßt sich. Und als ich im Publikum von Wynton Marsalis saß, spielte er auch einige Stücke aus meiner Zeit mit Ornette. Das nenne ich Respekt. Ansonsten möchte ich mich zu der angesprochenen Problematik nicht weiter äußern, da mir das meine Religion verbietet. Bevor ich etwas Schlechtes über andere äußere, schweige ich lieber. Man sollte sich nicht gegenseitig niederschreien, sondern sich helfen. Ich habe in meinem Leben schon so einiges erlebt. Und dazu gehört, daß nicht jeder gute Musiker mit Erfolg umgehen kann. Wenn das Ego erst mal überwiegt, leidet die Musik. Die Musik hat nämlich kein Ego.
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Die Musik zeigt deine innere Seele. Es sind nicht die Noten, es ist der Sound, der swingt.
Wann kommen Sie wieder auf Tour?
Ich habe das tiefe Gefühl, daß ich noch etwas tun muß, was ich bisher nicht getan habe. Dieses Jahr bin ich noch mal mit Ornette Coleman getourt, und ebenfalls in diesem Jahr war ich zum ersten Mal mit Nana Vasconcelos in Brasilien, ein musikalisches Projekt, über das wir schon seit Jahren gesprochen haben. Mit Gilberto Gil und den anderen großen Musikern, die dort leben. Aber in den vergangenen Jahren habe ich viele Schicksalsschläge durchgemacht. Meine Lebensgefährtin Pat starb und zahlreiche Musikerfreunde auch. Miles, Dizzy, Blackwell und Jim Pepper. Pat war eine großartige Frau. Sie wußte, daß sie sterben würde, und hatte bestimmt, daß ihre Asche auf einer Lama- Farm in der Bay Area verstreut werden sollte. Das habe ich dann auch getan. Ich vermisse sie sehr. Heute lebe ich allein. Seit Jahren zum ersten Mal.
Welche Bedeutung hat der Community-Gedanke für Sie?
Ich denke, daß jeder Künstler die Verantwortung hat, etwas von seiner Energie seiner Neighborhood zu spenden. In New York hatte ich mal eine Radiosendung, während der ich die Leute singen lehrte, so als säße ich mit ihnen in ihrem Wohnzimmer zusammen. Und ich sang ihnen Melodien von Monk und Ornette vor. So war es damals auf den Jam Sessions, als wir voneinander lernten. Ganz früher in Watts habe ich in mexikanischen Bands gespielt. Johnny Otis und T. Bone Walker lebten in meiner Neighborhood. Und dort lebten auch die Watts Prophets, die 1969 die Platte „Rappin' Black“ aufnahmen, die dann vom FBI und CIA verboten wurde. Diese Platte ist unglaublich, sie erzählt die Geschichte unserer Neighborhood. Und sie ist heute so aktuell wie vor 25 Jahren. Das war die erste Rap- Platte damals. Die Watts Prophets wollen demnächst eine neue Platte einspielen, sie haben mich letztens gebeten, dabei zu sein.
Sie sind heute jemand, zu dem man aufschaut ...
Schau, die Politiker kategorisieren die Schwarzen immer nach irgendwelchen Rollenmodellen. Aber in der Black Community gab es nie Rollenmodelle, sondern Propheten. Bob Marley war ein Prophet. Coltrane war ein Prophet. Diese Künstler besaßen spirituelle Intelligenz. Was in deinem Leben zählt, sind deine Taten.
Sind die Gangsta-Rapper etwa Propheten?
Nein, aber Gil Scott-Heron. Auf seiner letzten Platte „Spirits“ sagt er alles, was es dazu zu sagen gibt. Verantwortungsbewußt mit seiner Sprache umzugehen und die Nerven zu bewahren. Nein, es gibt nur wenige Propheten. Der wahre Prophet sagt nicht nur einem etwas und dem anderen nichts. Letztens war ich mit einem Video-Film- Team unterwegs, um einen Film zu machen, der zu meiner Musik paßt. Ich hatte eine große Marionettenpuppe dabei, und wir fuhren in verschiedene New Yorker Stadtteile, um zu drehen. In Chinatown schließlich, auf einer kleinen Grünfläche, sprang plötzlich ein großer Grashüpfer auf meine Schulter, der auf der Puppe herumhüpfte und irgendwann an ihrem Ohr verweilte, als würde er ihr etwas zuflüstern. Diese Einstellung paßt unglaublich gut zu meiner Musik. Ich lerne auch immer noch das harmolodische System. Jedesmal wenn du denkst, daß du etwas geschafft hast, beginnt etwas Neues. Das Lernen hört nie auf.
Eine Extended Version dieses Interviews findet sich in Christian Broeckings Buch „Der Marsalis-Faktor. Gespräche über afroamerikanische Kultur in den neunziger Jahren“. Der Band (mit Fotos von Detlev Schilke) erscheint dieser Tage beim OREOS-Verlag, Waakirchen- Schaftlach.
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