: Für die SPD nur ein Platz als FDP
■ Dokumentation: SPD-Linke im Donnerstagskreis drängen in die Oppositionsrolle. Neuwahlen halten sie nicht für notwendig
Die SPD-Linke will zwei Tage vor dem Parteitag am 7. November beschließen, ob die SPD in die Opposition gehen soll. Im einflußreichen „Donnerstagskreis“ diskutierten vorgestern etwa 130 Mitglieder über ein Papier von Andreas Wehr, der den Weg auf die Oppositionsbank befürwortet. Wir dokumentieren es in Auszügen.
Die SPD hat am 22. Oktober eine Wahlniederlage erlitten, die mehr ist als ein dramatischer Rückgang von Wählerstimmen. Die im Frühjahr 1991 gebildete Große Koalition ist abgewählt worden.
Die Berliner CDU hat aus kurzsichtigen parteipolitischen Überlegungen heraus einen Wahlkampf geführt, der in unverantwortlicher Weise an die Emotionen und Ängste der früheren West-Berliner Bevölkerung in der eingemauerten Stadt appelliert. Der diffamierende CDU-Wahlkampf war aber kein Ausrutscher. Bereits bei der Entscheidung für ein gemeinsames Bundesland Berlin-Brandenburg wurde erkennbar, daß sich der Kern der CDU mit den neuen Realitäten nicht abfinden kann.
Berlin kann aber die anstehenden großen Aufgaben einer Zusammenführung von Ost und West, der Schaffung eines gemeinsamen Bundeslandes mit Brandenburg und der Vorbereitung auf die Rolle der zukünftigen Regierungshauptstadt nicht lösen, wenn es von einem Regierungsbündnis weiter regiert wird, das ein breites Mißtrauensvotum bei Wahlen ignoriert und dessen führende Partei einen großen Teil der Bevölkerung des ehemaligen Ost-Berlin aus der demokratischen Gemeinschaft ausgrenzt. Die Stadt kann nur dann ihre kommunalen Aufgaben bewältigen, wenn zwischen Senats- und Bezirksverwaltungen ein Klima der Zusammenarbeit existiert. Eine solche Kooperation kann nicht funktionieren, wenn ganze Bezirksämter, insbesondere in den City-Bereichen, aus parteipolitischen Gründen aus dem Kommunikations- und Willensbildungsprozeß bewußt ausgegrenzt werden.
Demokratie lebt von einem konstruktiven Spannungsverhältnis zwischen Regierung und Opposition, wobei die Opposition immer zugleich auch die Regierung von morgen sein kann. Große Koalitionen können daher nur immer in Ausnahmefällen und auf begrenzte Zeit geschlossen werden, soll die Demokratie selbst nicht Schaden nehmen. Trotz ihrer gegenwärtigen Schwäche muß die SPD als Partei der gesellschaftlichen Linken die Alternative zu den konservativen Kräften bleiben. Diese Rolle kann nicht die Partei Bündnis 90/Die Grünen und schon gar nicht die PDS übernehmen. Bei einer Fortsetzung der Großen Koalition würde die SPD als Juniorpartner der CDU aber diese für den Bestand der Demokratie so wichtige Fähigkeit einbüßen. Nach dem Ausfall der FDP, dem Ausbleiben einer koalitionsfähigen Rechtspartei und dem Erstarken von Grünen und PDS konzentriert sich das bürgerliche Lager zur Erhaltung seiner Hegemonie auf die langfristige Einbindung und Domestizierung der SPD. Der Partei soll so ein fester Platz zugewiesen werden, es ist der traditionelle Platz der FDP.
Eine Minderheitsregierung gehört in vielen, oft sehr viel älteren Demokratien – zum Beispiel in Skandinavien und den Benelux- Staaten – zur alltäglichen Normalität. Auch Berlin würde keineswegs „unregierbar“ werden. Die SPD wird sich Gesprächen nicht verschließen, die die Arbeitsfähigkeit einer solchen Regierung zum Ziel haben. Grundlage für diese Gespräche ist das Wahlprogramm der Partei. Das gewählte Abgeordnetenhaus kann in der gegenwärtigen Situation sehr viel stärker als bisher zur Stätte ernsthafter Diskussion und wirklicher Entscheidungen werden. Die SPD wird sich dafür einsetzen, daß das Parlament jetzt verstärkt seine orginären Rechte einer Volksvertretung wahrnimmt. Es gibt daher gegenwärtig keine Veranlassung, mit Hilfe einer Auflösung des Abgeordnetenhauses Neuwahlen stattfinden zu lassen. Dies würde von den BerlinerInnen zu Recht als Weglaufen vor der Lösung schwieriger Aufgaben gewertet werden.
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