: Lehmtaler und Antikapitalisten
Auf ihrem ersten bundesweiten „AusTausch“ zeigten sich die Tauschringe im Zwiespalt zwischen Nachbarschaftshilfe und Systemkritik ■ Aus Berlin Ralph Bollmann
Wer schon immer von einer Welt träumte, in der das Geld einfach auf der Straße liegt, brauchte am Wochenende bloß nach Berlin zu fahren. Dort trafen sich Vertreter 40 bundesdeutscher und zwölf ausländischer Tauschringe zu ihrer ersten Tagung. Eines der Projekte stellte seine aus Ton gefertigten Zahlungsmittel unbeaufsichtigt zur Schau. Trotzdem fehlt am Ende der Veranstaltung kein einziger „Lehmtaler“. Das erstaunt nicht, schließlich mußte das kalte Büfett im Nebenraum in harter Deutscher Mark bezahlt werden.
„Wir machen keine Umwälzung des Wirtschaftssystems mit unseren 200 Mitgliedern“, weiß auch Stefan Purwin, Mitinitiator des vor acht Monaten gegründeten „Kreuzberger Tauschrings“. Vor allem geht es ihm darum, Nachbarschaftskontakte zu fördern. Für eine Gebühr von 20 Mark jährlich erhalten die Mitglieder jeden Monat die Zeitschrift „Straßenkreuzer“, die sämtliche Angebote und Nachfragen enthält. Bisweilen wird die Suche nach sozialem Kontakt noch hinter „Blechkuchen und super Torten für eure nächste Party“ versteckt, andere formulieren ganz direkt: „Ich kann dir bei Problemen zuhören und gebe Hinweise zur Lebensgestaltung.“ Der Preis für die Dienstleistungen wird in der Verrechnungseinheit „Kreuzer“ individuell ausgehandelt, als Richtwert gelten 20 Kreuzer je Stunde. Soll und Haben dürfen jeweils 300 Kreuzer nicht überschreiten. Das soll verhindern, daß die Teilnehmer sich überschulden oder aber den Kreislauf blockieren, indem sie Kreuzer horten.
„Es gibt Ideen, deren Zeit einfach gekommen ist“, pries Karl Birkhölzer das Prinzip Tauschring. Der Wissenschaftler, der an der Technischen Universität Berlin über „lokale Ökonomie“ forscht, hält aber von Kunstwährungen wie dem Kreuzer wenig. Statt dessen empfahl er die Arbeitsstunde als unumstößliche Maßeinheit. Letztlich müßten sich die Tauschringe zu einem neuen, gemeinnützigen Wirtschaftssektor werden.
„Tauschringe sind kein Instrument zur Abschaffung des Kapitalismus“, meinte auch der Sozialwissenschaftler Claus Offe von der Berliner Humboldt-Universität. Als Grundproblem machte er die ungleiche Verteilung von Zeit und Geld aus. Die frei verfügbare Zeit in Tauschringen produktiv einzubringen, sei ein gangbarer dritter Weg zwischen Fernsehalkoholismus und dem Verkauf von Arbeitszeit für Geld. Für Offe liegen die Tauschbörsen auch im Zug der Zeit, einer „progressiven Entstaatlichung vom Wohlfahrtsstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft“. Ganz so pragmatisch wie die Theoretiker mochten sich die Praktiker nicht geben. Schlicht ausgelacht wurde ein Bedenkenträger, der die Berücksichtigung von Qualifikation und Effizienz einklagte, „weil sonst die Wirtschaftsordnung einer sozialen Marktwirtschaft nicht mehr existieren würde“. Daß es den anderen um deren Überwindung gerade ging, hatte er offenbar nicht ganz verstanden. Letztlich praktizierten die Tauschringe nur eine Art bargeldlosen Zahlungsverkehr, lautete die entgegengesetzte Kritik. Daher könnten nur prinzipiell Leistungsfähige mitmachen.
Allerdings stieß auch die Forderung, marxistisch-leninistischen Gedanken mehr Aufmerksamkeit zu schenken, auf wenig Resonanz. Zumal deren Verfechter ausgerechnet den überschuldeten Fürsten Pückler als nachahmenswertes Beispiel anpries, ein frühkapitalistischer Ausbeuter reinsten Wassers, der seine Arbeiter mit einer Lederwährung abspeiste. Zu weit ging der Mehrheit auch die Idee des Würzburger Tauschrings, Stadtteilzölle zur Stärkung der lokalen Wirtschaftskreisläufe einzuführen.
„Geht' s um Systemkritik oder Nachbarschaftshilfe?“ Eine Antwort auf die am ersten Abend aufgeworfene Frage vermochte das Berliner Treffen nicht zu liefern. Jedenfalls bleibt der Anspruch vorerst unerfüllt, den Arbeitslosen und sozial Benachteiligten wieder zu sinnvoller Tätigkeit zu verhelfen. Ein Blick in die Runde genügte, um den Verdacht einer Teilnehmerin zu bestätigen, „daß die Tauschringe eine Veranstaltung für so 'n bestimmtes Bildungsbürgertum werden“.
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