: Hannes und die Vogelspinnen
■ Ein Tiermediziner züchtet zu Hause heimlich Vogelspinnen, Echsen, Schlangen und Würmer. Freunde haben sich daran gewöhnt, übernachten will bei ihm keiner
Letzte Nacht hatte Hannes einen Traum. Darin lebten Menschen mit Spinnen, Schlangen und Echsen in unbeschwerter Gemeinschaft. Die Realität sieht anders aus. Sein Kleinzoo in einer Berliner Zweiraumwohnung würde Nachbarn und Vermieter in Panik versetzen. Oma Neubert von nebenan wäre wenig begeistert, wenn sie wüßte, daß nur eine dünne Wand sie von über 100 Vogelspinnen, vier Bartagamen (Echsen), drei Schlangen und einer Schnappschildkröte trennt. Besonders die Futtertiere, handtellergroße Fauchschaben und Riesenmehlwürmer, würden ihre Phantasie beflügeln: Horrorvisionen von gefräßigem Ungeziefer, das die nachbarliche Wohnung verläßt und sich auf ihrem frischgebackenen Kuchen breitmacht. Deshalb muß Hannes sein Hobby weitgehend geheimhalten.
Dabei sind die Tiere bei ihm in wirklich guten Händen. Schön übereinandergestapelt stehen die Terrarien der Spinnen, aus denen sie nur sehr selten entwischen. Nur einmal ist das Hannes bis jetzt passiert: „Im Physikumstreß habe ich einmal ein Loch im Terrarium nicht entdeckt und eine ist abgehauen. Ich konnte sie aber gleich wieder einfangen.“ Leute, die ihre Exoten spazierenführen, hält er für Angeber.
Er dagegen besitzt die Kornschlangen und Bartagame aus Karrieregründen. Der 25jährige Tiermedizinstudent will Facharzt für Reptilien werden und schon ein bißchen das Handling trainieren. Er findet seinen Neubauzoo ganz normal: „Ein Pferdearzt sieht auch nicht nach dem Studium das erste Mal ein Pferd.“ Daß die Anzahl der Anschauungsobjekte den gewöhnlichen Rahmen allerdings weit überschreitet, gibt er zu: „Inzwischen ist das auch Sammelleidenschaft.“
Angefangen habe alles ganz harmlos. Klein Hannes beschäftigte sich wie viele Jungs in seiner Kindheit mit Fröschen. Allerdings ließen die meisten mit spätestens sieben Jahren von ihnen ab und suchten sich neue Betätigungsfelder: „Bei mir fing es da erst richtig an“, sagt Hannes. Zunächst kaufte er sich Frösche. Später kamen Fische hinzu. Über eine Annonce kauft er schließlich seine ersten 27 Vogelspinnen. Heute ist er bis Belgien und Dänemark für seine Jungtierzüchtungen und seltenen Exemplare bekannt. „Viele rufen hier an und fragen: Haste mal ein Männchen von der und der Sorte?“ Dann wird getauscht. Es gibt regelrechte Tauschbörsen für Reptilien und Exoten aller Art. Die berühmteste findet einmal im Monat in Düsseldorf statt. Liebhaber zahlen für eine ausgewachsene Vogelspinne bis zu 300 Mark.
Nur eins betrübt die Hobbyzoologen. Die fehlende Akzeptanz der Öffentlichkeit für ihre Freizeitbeschäftigung. So will ihnen zum Beispiel der Berliner Senat in Zukunft das Leben schwer machen. Eine neue Verordnung für das Halten „gefährlicher Tiere wildlebender Arten“ soll noch in diesem Jahr in Kraft treten. Giftige Schlangen, Spinnen oder Echsen dürften dann nur noch in Ausnahmefällen in den eigenen vier Wänden gehalten werden. Für Hannes ist das Panikmache. Er sieht sein Hobby an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Außerdem seien seine Vogelspinnen ganz ungefährlich, beschwert er sich: „Sie beißen zwar, aber das führt bei Menschen zu keinen Vergiftungen. Das ist wie ein Wepsenstich.“
Freundin Julia hat die anfängliche Abneigung gegenüber den haarigen Mitbewohnern überwunden und findet sie jetzt sogar niedlich. Für die Futtertiere hat sie allerdings nicht soviel übrig. Die Fauchschaben leben in geschlossenen Dosen, klettern aber doch ab und zu heraus, um ihre Umgebung zu inspizieren. In freier Wildbahn findet Julia sie unerträglich: „Wenn die in der Küche herumlaufen würden, würde ich ausrasten.“
Probleme gibt es auch, wenn sich Besuch ankündigt. „Bei denen müssen wir erst einmal die Igitt- Stimmung abbauen“, klagt die Medizinstudentin. Nach ein paar Besuchen zeigten diese aber Interesse für die teilweise fast zwölf Zentimeter großen Vogelspinnen. Nur übernachten wollen sie in dem Tierzimmer auf keinen Fall. Die Vorstellung, eine Schabe könnte sich mit einer Spinne verbünden und sich im Schlafanzug ein warmes Plätzchen suchen, ist gar zu abschreckend.
Unberührt vom Entsetzen seiner Mitmenschen überlegt Hannes die Anschaffung einer Giftschlange: „Das wäre schon faszinierend.“ Noch schläft Oma Neubert nebenan ruhig. Jana Simon
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