Eishockey-Zirkus

In einem äußerst unterhaltsamen Match bezwangen Berliner Eisbären Frankfurter Löwen mit 6:5  ■ Aus Berlin Matti Lieske

Berlin (taz) – Das Gezeter um die Deutsche Eishockey-Liga (DEL) mit ihrer Unabsteigbarkeit und der Vielfalt verschiedenartiger Teams von extrem unterschiedlicher Leistungsfähigkeit ist noch längst nicht verstummt. Die Spitzenklubs beklagen schwindende Zuschauerzahlen und müssen, wie die Preussen Devils, sogar mit Preisnachlässen werben, um ihre Hallen wenigstens einigermaßen voll zu kriegen. Sogar Bundestrainer Kingston fordert die schnelle Änderung einiger Moduskuriositäten, und die Stimmen, die eine Reduzierung der Liga verlangen, melden sich immer wieder zu Wort. Ihr Argument: Die kleinen Klubs mit ihren vielen eher minderbemittelten Spielern verderben das Geschäft.

Gegenargument: Die Sache macht einfach Spaß. Bei den Berliner Eisbären etwa, den armen, ungeliebten Ostverwandten der westlichen Preussen, in der Tabelle auf dem vorletzten Platz verankert, erfreut schon die Anzeigentafel, die im Sekundentakt politische Korrektheit ins Volk rieseln läßt: EHC-Fans gegen Rassismus, für Naturschutz, gegen Chirac, für Tierschutz, und sogar die Patenschaft für einen leibhaftigen Eisbären vom Nordpol kann übernommen werden. Dankbar feiern die zwei- bis dreitausend Zuschauer fast jeden gelungenen Puckkontakt ihres Teams und wenn es, wie im Spiel gegen die Frankfurter Löwen, sogar gelingt, einen deprimierenden 0:4-Rückstand, der jedes Fußballpublikum längst nach Hause getrieben hätte, in ein 1:4 umzuwandeln, branden ebenso frenetische wie geschichtsbewußte „Dynamo-Chöre“ auf. Dabei werden die Schals so begeistert geschwenkt, als hätten die arktischen Patenkinder des Klubs gerade das gesamte Preussenteam gefressen.

Dabei konnten die Zuschauer unmöglich ahnen, welch erhebende Momente noch auf sie warteten. In den ersten 25 Minuten hatten die Frankfurter Eismagier Jiri Lala und Robert Reichel nach Belieben wirbeln dürfen, fast mühelos vier Tore erzielt, drei davon durch den ehemaligen NHL-Star Reichel, und vor allem der Berliner Neuzugang Andrej Lomakin rieb sich die Augen und fragte sich erschüttert, wo er hier wohl hingeraten war. Doch dann war es eben dieser Lomakin, mit dem der EHC plötzlich einen richtig guten Eishockeyspieler in den Reihen hat, der die – verständliche – Überheblichkeit der Frankfurter ausnutzte. Zwei vollkommen unnötige Fouls reduzierten das Löwen-Team auf gleich doppelt, Lomakin und Felski verkürzten auf 2:4, die Halle begann zu wackeln, die Frankfurter wurden nervös und es zeigte sich, daß sie vielmehr als Lala und Reichel nicht zu bieten haben.

Noch im selben Drittel glichen die Berliner zum 4:4 aus, schon fast selbstverständlich gingen sie im letzten Abschnitt, angetrieben durch die klugen Pässe und dynamischen Soli des Russen Lomakin 6:4 in Führung. Die finale Aufholjagd der Gäste, in den letzten drei Minuten fast ständig ohne Torwart, brachte 15 Sekunden vor der Schlußsirene zwar das 5:6, aber als Reichel in allerletzter Sekunde am hitzigen EHC-Keeper Döhler scheiterte, war das seltene Ereignis eines Heimsiegs im Sportforum Hohenschönhausen perfekt. Die Ehrenrunde wollte kein Ende nehmen, das Publikum tobte beglückt, und inzwischen schien sich sogar Andrej Lomakin wohlzufühlen.

Zweimal in Folge haben die Eisbären nun gewonnen, unversehens den Anschluß zum Tabellenmittelfeld hergestellt und hoffen künftig auf noch mehr Vergnügen, denn sie haben einen weiteren Russen an Land gezogen, der bisher in der zweiten amerikanischen Liga spielte. Golabschjuk heiße der Mann von den Milwaukee Admirals, behauptete EHC-Coach Billy Flynn zunächst, mußte dann aber einräumen, daß es sich um einen gewissen Alexander Galschenjuk handele. Manager Lorenz Funk focht das nicht an: „Diese russischen Namen klingen doch alle irgendwie gleich“, hat er in langer Karriere als Spieler, Trainer und Manager erforscht, „Hauptsache, der Kerl spielt gescheites Eishockey.“ Sollte das der Fall sein, werden sie ja vielleicht sogar einen Eisbären nach ihm benennen. Golabschjuk oder Galschenjuk, dem pelzigen Arktisbewohner dürfte es egal sein.