: Warten auf den weißen Rauch über Dayton
■ In den USA beginnen die Friedensverhandlungen für Bosnien-Herzegowina
Genf (taz) – Heute tritt die US- Friedensinitiative für Bosnien- Herzegowina in ihre entscheidende Phase – jedenfalls nach Vorstellung der Initiatoren um Chefunterhändler Richard Holbrooke. Unter Vermittlung des stellvertretenden US-Außenministers verhandeln die Präsidenten Serbiens, Bosniens und Kroatiens auf der Wright-Patterson-Luftwaffenbasis bei Dayton, Ohio, über ein Abkommen, das dem seit dreieinhalb Jahren vom Krieg zerrissenen Bosnien Frieden bringen soll. Zudem sollen der Konflikt um das serbisch besetzte kroatische Ostslawonien endgültig gelöst und die Anerkennung Bosniens und Kroatiens durch Serbien vereinbart werden. Über die Dauer der Verhandlungen gibt es offiziell keine Angaben.
Bei den Verhandlungen sind fast alle Fragen noch ungelöst, an denen auch schon bei den zahlreichen Gesprächsrunden seit Beginn der Genfer Jugoslawienkonferenz im September 1992 ein Abkommen scheiterte. Ob die Verschiebung der militärischen Gewichte auf dem bosnischen Schlachtfeld sowie die „Bereinigung“ der Landkarte durch die Vertreibungen eine Einigung tatsächlich erleichtern, muß sich erst noch erweisen.
Als schwierigste Detailprobleme bei der bereits im Prinzip vereinbarten Landverteilung zwischen der künftigen „Serbischen Republik“ in Bosnien und der muslimisch-kroatischen Föderation im Verhältnis von 49 zu 51 Prozent gelten Sarajevo und der von den Karadžić-Serben kontrollierte Ost-West-Korridor beim nordbosnischen Brčko. Die Karadžić-Serben bestehen auf der Kontrolle zumindest eines Teiles der bosnischen Hauptstadt. Die Regierung von Präsident Alija Izetbegović lehnt – unterstützt von den USA und den anderen vier Staaten der Bosnien–Kontaktgruppe – „jede Form einer neuen Mauer wie einst in Berlin“ entschieden ab. Der Brčko-Korridor ist seit der Eroberung der „Serbischen Republik Krajina“ im August zwar von geringerer Bedeutung für die Serben. Dennoch bestehen sie auf einer Verbreiterung des Korridors; die Regierung in Sarajevo und die Kroaten fordern die Beseitigung des Korridors.
Die Vertreter der „Republik“ von Pale“ in der Delegation des serbischen Präsidenten Slobodan Milošević – „Vizepräsident“ Koljević, „Parlamentspräsident“ Kraijnić und „Außenminister“ Buha – haben zwar den Auftrag ihres selbsternannten Parlaments erhalten, bei den Verhandlungen auch einen Zugang zur Adria und die Rückgabe der seit September von den bosnischen Regierungstruppen eroberten Gebiete in Nord- und Westbosnien zu fordern. An den Verhandlungen beteiligte Diplomaten westlicher Kontaktgruppenstaaten rechnen allerdings nicht damit, daß sich Milošević, der als Chef der serbischen Delegation in Dayton bei Meinungsunterschieden das letzte Wort haben soll, diese Forderung zu eigen machen wird. Dasselbe gilt für die letzte verblieben ostbosnische Muslimenklave und UNO-Schutzzone Goražde.
Die härtesten Verhandlungsnüsse liegen in den Verfassungfragen. Die am 22.September in New York erzielte Grundsatzvereinbarung ließ viele Lücken und wird in entscheidenden Punkten von beiden Seiten gegensätzlich interpretiert. Die Serben sehen die Möglichkeit zur Sezession ihrer Republik nach einer gewissen Schamfrist. Die bosnische Regierung besteht auf dem dauerhaften Erhalt des Staates Bosnien-Herzegowina in seinen derzeitigen Grenzen.
Wie wird die vereinbarte Rückkehrmöglichkeit für Flüchtlinge und Vertriebene umgesetzt? Welche anderen Voraussetzungen müssen nach Abschluß eines Friedensvertrages erfüllt werden, damit Wahlen zu dem vorgesehenen gemeinsamen Institutionen Bosniens, Parlament und Präsidentschaft, stattfinden können? Zu diesen und anderen Fragen hat Holbrooke Vorschläge angekündigt.
Durchgesickert ist bislang nur sein Vorschlag, das Territorium Bosniens solle künftig – statt entmilitarisiert zu werden – drei Armeen beherbergen: eine Regierungsarmee sowie Streitkräfte der „Serbischen Republik“ und der bosnischen Kroaten. Beobachter der UNO sehen darin ein sicheres Rezept für das Wiederaufflammen des Krieges spätestens nach Abzug der vorgesehenen multinationalen Truppe zur Umsetzung eines Abkommens (PIF).
Falls die PIF überhaupt stationiert wird. Sie steht und fällt mit der Beteiligung der USA. Im US- Kongreß gibt es erheblichen Widerstand. Die Entscheidung des US-Repräsentantenhauses vom Montag, Präsident Bill Clinton müsse vor einer Entsendung von GIs nach Bosnien eine formelle Genehmigung einholen, ist ein deutlicher Warnschuß.
Holbrooke steht unter erheblichem Druck. Er muß sehr bald zumindest erste Erfolge melden können, damit die Stimmung im Kongreß nicht völlig kippt. Die Gefahr ist groß, daß ein Friedensabkommen unter diesen Umständen mit sehr heißer Nadel genäht wird. Damit die Clinton-Administration zumindest die Berichterstattung über die Verhandlungen kontrollieren kann, wurde die Wright-Patterson- Airbase hermetisch abgeriegelt. Nicht nur die drei Präsidenten, auch die Delegationen der Kontaktgruppenstaaten wohnen in den eigens dafür hergerichteten Generalsunterkünften. Ob die Mediensperre hält, bleibt jedoch abzuwarten. Denn jede Delegation auf der Airbase verfügt über ein Telefon. Bevor der weiße Rauch über Dayton aufsteigt, ist also damit zu rechnen, daß Informationen über den Verhandlungsverlauf auf dem Umweg über Belgrad, Zagreb oder Sarajevo an die Öffentlichkeit gelangen. Andreas Zumach
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen