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Funny Valentines für alle

■ Easy Jazz für Piano: Petrucciani gastierte am Goetheplatz

Sobald man ihn hört, achtet man nicht mehr darauf, wie er aussieht. Das ist wohl das Frappierendste an den Auftritten des Pianisten Michel Petrucciani, der an der Glasknochenkrankheit leidet, deshalb kaum einen Meter groß ist, auf Krücken zum Piano humpelt und sich mühsam auf den Sitzschemel hochziehen muß. An den Tasten ist er aber dann so souverän, kraftvoll und beweglich, daß er den Zuhörern sofort alle Klischees und jeden Behindertenbonus aus den Köpfen spielt. Dennoch war ein ganz anderes Publikum ins Theater am Goetheplatz gekommen als zu anderen Jazzkonzerten in Bremen. Durch seine Auftritte als Pausenmusiker in der Fernsehshow von Roger Willemsen ist Petrucciani inzwischen zu einer TV-Persönlichkeit geworden. Und auch, daß sein Auftritt das Kulturfestival „Behinderungen“ des Jungen Theaters eröffnet, weist darauf hin, daß es hier nicht nur um Musik geht.

Nun ist es ja im Grunde müßig zu spekulieren, warum welches Publikum zu welchen Konzerten geht – außer wenn die Musik selber durch diese Faktoren beeinflußt wird. Genau dieser Eindruck zwang sich am Dienstag abend auf. Wer den Pianisten noch von seinen früheren Auftritten und Einspielungen, etwa mit dem Quartett von Charles Lloyd, kennt, bei denen er mit seinen romantischen und zugleich abenteuerlichen Solis auf sich aufmerksam machte, kann sich über die Entwicklung des Pianisten nur wundern. Jetzt spielt er zwar viel variationsreicher und mit einer atemberaubenden Technik, aber dafür erstaunlich brav und oberflächlich. Er scheint die Lektion gelernt zu haben, daß er mit einer simpleren Musik mehr Erfolg haben könnte als mit den tiefergehenden Improvisationen, durch die er in seiner Anfangszeit begeisterte. Jetzt spielt er oft allzu gefälligen „Easy Jazz“ und schöpft dabei reichlich aus den Reichtümern der Tradition. Die erste Hälfte seines knapp anderthalb Stunden langen Konzerts war etwa ein Medley mit Klassikern der großen Jazzkomponisten wie Ellington, Hancock, Rodgers und Hart oder Cosma. Solch ein „Best of“-Programm ist bei einem im Jazz nicht ganz so bewanderten Publikum ein sicherer Erfolg – weil man sich immer freut, wenn man etwas wiedererkennt, weil einfach viele schöne Melodien zu hören sind und es immer unterhaltsam schnell weitergeht. Daß die Stücke dabei kaum neu interpretiert wurden und nur an der Oberfläche glänzten, störte nur wenige – aber wenn solch eine schöne Ballade wie „My Funny Valentine“ mal schnell in knapp zwei Minuten abgespielt wird, muß man sich schon fragen, wo Jazz aufhört und „easy listening“ anfängt.

Im zweiten Teil des Konzerts spielte Petrucciani eigene Kompositionen. Bei diesen ließ er sich dann doch mehr Zeit, um die melodischen und rhythmischen Möglichkeiten der Stücke etwas mutiger auszuloten. Aber auch hier wagte er es nicht wirklich, auch mal schwerere Kost zu bieten. Statt dessen griff er ausgiebig in die Trickkiste des Pianovirtuosen und ließ sein Instrument donnern, seufzen, rattern und swingen.

Dabei bewies er auch ein erstaunliches komisches Talent. Ellingtons „Take the A Train“ wurde bei ihm eine amüsante Fahrt mit der Eisenbahn komplett mit Zugpfeife und Tschutschurhythmus. Mit einer Ballade verabschiedete sich Petrucciani schließlich von einem Publikum, das ihn begeistert mit einer „standing ovation“ feierte. Und in diesen letzten Minuten spielte er dann noch so poetisch, daß man doch noch den Jazzmusiker hinter dem Entertainer entdecken konnte. Willy Taub

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