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Die SPD blickt tief in den Giftbrunnen

■ Wahlkampfleiter Christian Hoßbach kritisiert Alleingänge von SPD-Spitzen /Rot-Grün wurde von innen heraus zerstört

Nach dem Debakel vom 22. Oktober tritt der parteiintern umstrittene Wahlkampfleiter der SPD die Flucht nach vorn an. „Es fehlte nicht nur das politische Profil, es fehlte auch ein Vorrat an Konfliktthemen“, heißt es in einem internen Papier des Stahmer-Vertrauten Christian Hoßbach, das der taz vorliegt.

Der Wahlkampfleiter der gescheiterten Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer, der noch bis zum Jahresende beim Landesverband unter Vertrag steht, zeichnet in seiner Analyse ein verheerendes Bild der SPD-Wahlkampf-Strategie. Neben einer ungenügenden materiellen und finanziellen Ausstattung, fehlender Absprache und Überlastung des Wahlkampfteams greift Hoßbach die Alleingänge einzelner SPD-Spitzenpolitiker an. So hätten der Ex-Regierende Walter Momper und Bausenator Wolfgang Nagel trotz anderslautender Absprache schon im Juni öffentlich ein „klares Bekenntnis“ für Rot-Grün gefordert. Die Koalitionsaussage für Rot-Grün sei „als mögliche Wahlkampfbotschaft aus der SPD heraus, gegen die Spitzenkandidatin und die Wahlkampfleitung zerstört worden“. Laut Hoßbach wollte sich Stahmer eine „klarere Aussage“ für ein Bündnis mit den Grünen zu einem späteren Zeitpunkt offenhalten. Allerdings nur, heißt es einschränkend, sofern dies „die Stimmung der Stadt zugelassen hätte“.

Selbstkritisch merkt Hoßbach in dem dreiseitigen Papier an, daß „wesentliche Bausteine“ der Stahmer-Kampagne gefehlt hätten. So sei es nicht gelungen, das Konzept der Gesprächsrunden „kurzfristig umzusetzen“, die Wählerinitiativen seien „überhaupt nicht in Gang gekommen“. Es sei auch ein Fehler gewesen, die Finanzlage des Landes nicht zum Wahlkampfthema zu machen. Dazu hatte sich die politische Führung laut Hoßbach erst nach „langer Diskussion“ durchgerungen. Aus heutiger Sicht, so der frühere Treuhandmitarbeiter, „wäre es vermutlich besser gewesen, hier als die ,ehrliche‘ und ,wahrhaftige‘ Partei aufzutreten“.

Im Gleichklang mit Bausenator Nagel, der bereits einen Tag nach der Wahl vor einer Schuldzuweisung an Dritte gewarnt hatte, schwächt das Papier die anfänglich von Stahmer formulierte Kritik am „aggressiven“ CDU-Wahlkampf deutlich ab. Seine Wirksamkeit habe die CDU-Strategie erst durch das „schwach entwickelte SPD- Profil“ und die Verunsicherung durch den Streit der Bundespartei entfalten können, heißt es.

Während in den letzten Tagen Teile der SPD-Spitzen – darunter auch Ingrid Stahmer – für eine Fortsetzung der Großen Koalition plädieren, hält die Parteilinke an der Oppositionsrolle fest. Dies sei der einzige Weg, „der im Moment machbar ist“, meinte gestern die stellvertretende Landesvorsitzende Monika Buttgereit. Sie warnte davor, vor dem außerordentlichen Landesparteitag am 7. November so zu tun, als „wäre schon alles entschieden“. Die Position unter den Delegierten sei keinesfalls eindeutig festgelegt. Severin Weiland

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