piwik no script img

Ein Tornado, allein

■ Der Kabarettist Arnulf Rating in den Kammerspielen

Der Patient ist schwer krank, befallen von einer Krankheit, die er nicht mehr los wird. Der Patient ist das wiedervereinigte Deutschland, das sich seinen kleinen Bruder, die Ex-DDR, einverleibt hat. Seitdem hat der Patient Aids.

Die Darstellung eines abstrakten Gebildes – in diesem Fall Deutschland – ist schwierig. Für den Kabarettisten Arnulf Rating sind die verschiedenen Krankheiten der von ihm gespielten Patienten Folie für den Zustand der Republik. Kaleidoskopisch soll sich während der Sprechstunde, so der Titel des Programms, anhand der psychischen Defekte ein morbides Bild dieser Republik zusammensetzen. Ob zwanghafter Fitneßtölpel, verhuschte Esoterikerin oder grobschlächtiger Prolet – Rating fixiert sich auf Figuren, die leicht zu überzeichnen sind, dankbares Futter für jeden Kabarettisten.

Dabei verzichtet er gänzlich auf die leisen Töne. Statt dessen wird ein verbales Feuerwerk abgebrannt, ein ungebremstes Wortstakkato, makaber zumeist, mit gelegentlichen Ausflügen in den gesunden Kalauer: „Herr Doktor, ich hab' einen Knoten in der Brust“, klagt die Patientin. „Gute Frau, wer macht denn so etwas.“ Das klingt nach RTL-Nachtshow-Niveau, was nicht abwertend gemeint sein soll. Würde Rating die politischen Rundumschläge kappen, wäre er der ideale Partner für Wiegald Boning. Er tut es aber nicht und muß sich damit den Vorwurf gefallen lassen, daß alte 68er-Parolen von der „verwalteten Welt“ zwar nach wie vor politisch Bestand haben, aber im Kabarett etwas verstaubt daherkommen.

Verläßt Rating die sarkastische Ebene und versucht sich an gesellschaftlichen Analysen, schmecken diese etwas trocken: „Leute werden nicht krank geboren, sie werden krank gemacht.“ Stimmt, wird aber wohl allein ein akademisch nicht unbedarftes Publikum (ja, auch die taz-Leser) bedienen. Wie bei der Premiere zu sehen war: Das Publikum, unterkühlt begeistert, erklatschte sich eine Zugabe.

Die Neigung Arnulf Ratings für politisches Kabarett kommt nicht von ungefähr: 1977 gründete er mit Günter Thews die 3 Tornados, die als Berliner Spaßguerilla auf die demokratische Grundordnung traten. Die Folge waren Prozesse und Auftrittsverbote. 1993 machte er solo weiter und erhielt für Perlen der Heimat im letzten Jahr den Deutschen Kabarettpreis.

Schon da hatte wie auch in der Sprechstunde Ulrich Waller Regie geführt. Dieser verzichtete auf jegliches technisches Brimborium. Nur die sekundenschnell wechselbaren Kostüme ergänzten bildhaft die psychischen Defekte der Patienten.

Kai Mierow

Noch heute, 20 Uhr, und morgen, 19 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen