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Die Freiheit, ein Haus zu bauen

Eine Tour rund um Monticello, die selbstentworfene Villa des US-Präsidenten Thomas Jefferson in Virginia. Amerika feiert Jefferson als „Architekten der Demokratie“  ■ Von Johannes Schweikle

Das Mahagonikästchen ist gerade so groß wie eine Schublade. Aber es stiehlt den 57 Gemälden, Stichen und Skulpturen eindeutig die Schau. Eigentlich war das Kästchen ein schlichter Gebrauchsgegenstand, ein Schreibaufsatz für unterwegs. Aber unsere Führerin zeigt auf den schräg gestellten Deckel. „Auf diesem Schreibpult“, sagt sie, „hat Thomas Jefferson die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten geschrieben.“ Ehrfürchtiges Schweigen.

Wir stehen in der Villa Monticello. Der Landsitz des US-Präsidenten Thomas Jefferson (1743 bis 1826) ist ein amerikanisches Nationalheiligtum. Und hier, im Salon mit Kirsch- und Buchenholzparkett, sind wir in das Allerheiligste vorgedrungen. Denn hier steht das Mahagonikästchen, das Thomas Jefferson im Juni des Jahres 1776 auf den Knien hatte, auf dem er die Worte zu Papier brachte: „Alle Menschen sind gleich geschaffen.“ Amerika feiert Thomas Jefferson als den „Architekten der Demokratie“. Wie schön, daß dieser Baumeister nicht nur die Wörter „Leben, Freiheit und das Streben nach Glück“ zu den unveräußerlichen Rechten aller Menschen zusammengefügt hat, sondern auch rotbraune Klinker und weiße Säulen. Für seinen Landsitz Monticello in Virginia zeichnete der dritte US-Präsident selbst die Pläne. Einundvierzig Jahre lang plante, baute und änderte er an seinem bewohnbaren Hobby herum, bis der langgestreckte Bau schließlich eine weiße Kuppel und einen klassizistischen Giebel über der Veranda hatte. Kein Wunder, daß auch an einem Werktag fast tausend Amerikaner auf den Hügel in Virginia pilgern, um das Multitalent Jefferson zu bewundern.

Dieser 180 Meter hohe Hügel bei Charlottesville, Virginia, war der Lieblingsplatz des jungen Jefferson. Als Schüler lag er hier unter einer Eiche beim Lagerfeuer und faßte den Entschluß, hier oben später ein Haus zu bauen. Als Student studierte Jefferson Skizzen und Pläne des italienischen Renaissancearchitekten Andrea Palladio. Daher rührt auch der italienische Name Monticello, „das Berglein“. Der Hügel an der amerikanischen Ostküste gehörte zur riesigen Tabakplantage von Jeffersons Vater.

Gestern haben wir das Herrenhaus einer solchen Pflanzung besichtigt. Die Plantage Sherwood Forest am James River ist 650 Hektar groß und seit dem 19. Jahrhundert im Besitz der Familie Tyler, die wie Familie Jefferson einen US-Präsidenten stellte. Neben der Auffahrtsallee sehen wir als erstes einen Friedhof, auf dem die Tylers ihre geliebten Hunde begraben haben. Das Herrenhaus ist hundert Meter breit. Unter schattigen Veranden stehen Schaukelstühle, auf dem Rasen achtzig verschiedene Baumarten. Die Aristokraten hielten in verschiedenen Nebengebäuden Pferde, Hunde und Sklaven. Da drängt sich unweigerlich die Frage auf, wie der Plantagenerbe Jefferson auf die Idee kam, alle Menschen könnten gleich sein.

Thomas Jeffersons Vater hatte genaue Vorstellungen von der Zukunft seines Sohnes: Er sollte Jurist werden. Mit sechzehn ging Tom aufs College nach Williamsburg. Seine Kommilitonen waren ebenfalls Söhne von Virginias Großgrundbesitzern. Sie veranstalteten Pferderennen, wetteten bei Hundekämpfen. Zu einer ordentlichen Studentenbude gehörten Hund und Gewehr. Acht Kommilitonen hielten sich Negersklaven, die ihre samtenen Anzüge bürsten und die Knöpfe polieren mußten. Ein Jefferson-Biograph hebt lobend hervor, daß der Student Jefferson beschloß, sein Zimmer selbst in Ordnung zu halten.

Auch Monticello zeigt das Bild des wahren, edlen, guten Jefferson. In der Bibliothek stehen 7.000 Bände, von Thukydides bis Don Quijote. Im Arbeitszimmer, wo der Präsident nach seinem eigenen Bekunden „von Sonnenaufgang bis ein oder zwei Uhr am Schreibtisch schuftete“, zeugen Fernrohr und Weltkugel von den wissenschaftlichen Interessen Jeffersons. Im Salon verweisen Spinett, Notenpult und Mandoline auf den Musikliebhaber. Im Speisezimmer hat Baumeister Jefferson die Wände mit einem Triglyphenmuster wie in der Antike abgeschlossen. Spätestens hier wird er zum Universalgenie.

Als US-Botschafter in Paris hatte Jefferson, der Yankee von der Tabakplantage, europäische Kultur und Lebensart kennengelernt. Er beneidete die Italiener um ihre Musiker, kaufte Weine in Bordeaux und tüftelte, wieder in Monticello, neben dem offenen Kamin im Speisezimmer einen kleinen Aufzug zurecht, mit dem man eine Flasche „ChÛteau Lafitte“ aus dem Keller zur Tafel hochholen konnte.

Glaubt man unserer Führerin, so brachte es Jefferson auf allen Wissensgebieten zum Großmeister: in Jura und Architektur, in Botanik und Geographie, und natürlich in Politik und Philosophie. Den in Amerika verbreiteten Jefferson-Kult brachte John F. Kennedy auf den Punkt, als er bei einem Dinner der Nobelpreisträger eine Ansprache hielt: „Dies ist die außergewöhnlichste Ansammlung von Begabung und Wissen, die je im Weißen Haus zusammenkam“, schmeichelte Kennedy den versammelten Geistesgrößen, „vielleicht mit einer Ausnahme: als Thomas Jefferson hier allein gespeist hat.“

Spätestens im Garten kriegt das Gesamtkunstwerk Jefferson/Monticello Risse. Im Keller unter den Anbauten der Villa sieht man die feuchten Unterkünfte der Sklaven. Am Rand des penibel gepflegten Gemüsegartens erklärt eine Tafel, daß zu Jeffersons Zeiten hier eine Nagelschmiede stand. Vierzehn Sklaven im Alter zwischen zehn und sechzehn Jahren schmiedeten hier bis zu 10.000 Nägel am Tag. Die Hälfte von Jeffersons Sklaven war unter sechzehn. Alle weißen Giebel, Säulen, Kuppeln, die Monticello zu einem der architektonischen Meisterwerke Amerikas machten, wurden von schwarzen Knechten gebaut.

Unsere junge Führerin versucht auch gar nicht, die Sklavenhalterei Jeffersons zu leugnen. Sie spielt das Thema herunter, indem sie einige Aussagen des „Weisen von Monticello“ zitiert, die den Philanthropen als Gefangenen seiner Zeit darstellen. Der Edelrassist legte nämlich Wert auf anständiges Benehmen: „Wir sollten diejenigen, die das Schicksal in unsere Hand gegeben hat, gut nähren und kleiden, vor Mißbrauch schützen und nur solch angemessene Arbeit von ihnen verlangen, wie Freie sie freiwillig tun.“ Außerdem habe er zwei Sklaven freigelassen und in seinem Testament drei weiteren die Freiheit geschenkt, sagt die Führerin.

Auch jetzt, am Spätnachmittag, wartet noch eine lange Schlange von Besuchern vor dem Eingang auf Einlaß. Offensichtlich nimmt der Sklavenhalter Jefferson dem Patrioten Jefferson nichts von seinem Glanz. Warum pilgert Amerika, das sich für den Hort der Freiheit hält, hierher? Vielleicht sitzen wir am Ende einem Mißverständnis auf. Meint „Freiheit“ hier gar nicht die Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit der Französischen Revolution, sondern die Freiheit zum „Streben nach Glück“, wie Jefferson das in der Unabhängigkeitserklärung geschrieben hat? Und manche haben bei diesem Streben halt bessere Karten als andere? Aber die Tulpenbeete sind wirklich schön. Nach dreißig Jahren im Dienst des Vaterlands, nach acht Jahren als US-Präsident, lief der 66jährige Jefferson mit der Meßlatte durch den Garten von Monticello und legte Blumenbeete an, mittendrin noch einen kleinen Fischteich. Neben diesem kniet ein Fotograf und wartet, bis keine Welle mehr das Wasser kräuselt und die Villa sich perfekt spiegelt. Am weißen Geländer lehnt ein Rentner aus Pennsylvania und schaut versunken über die üppigen grünen Hügel Virginias.

Am nächsten Tag fahren wir auf die Halbinsel Chincoteague. Hier, an der Atlantikküste, verbringen viele Washingtoner ihre Wochenenden, und das kann man verstehen. Das Getreide wiegt sich im Seewind, Wasserläufe durchziehen die Landzunge, Wildgänse fliegen der Sonne entgegen.

Sobald wir die Hauptstraße verlassen, kommen wir auf unbefestigte Sandwege. Hohe Kiefern ragen in den blauen Himmel, wilde Ponys grasen. Wir sind kurz davor, im Pathos eines Jefferson-Spruchs zu baden: „Nichts ist mit größerer Gewißheit in das Buch des Schicksals geschrieben, als daß die Menschen bestimmt sind, frei zu sein.“

Am Ende des Sandwegs, mitten in diesem urwüchsigen Idyll, steht ein riesiger Bungalow. Eingezäunter Privatbesitz.

Da begreifen wir, warum Amerika seinen Jefferson so verehrt: Weil beide, der Vordenker und das Volk, dasselbe unter Freiheit verstehen: Jeder darf sein Haus dort bauen, wo es ihm paßt.

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