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Fischerhuder Renitenz

■ Seit 1956 gibt es im Künstlerdorf ein Sonntagsverkaufsverbot – ohne Erfolg / Jetzt droht die Zwangsvollstreckung

Sind es die Dämpfe aus dem Moor? Tektonische Anomalien? Das lokale Kleinklima? In Fischerhude, raunen die Alten, haben sich schon viele umgebracht. Neufischerhuder klagen über die offen gezeigte Feindschaft der Eingeborenen. Wenn ein Fischerhuder über den anderen redet, hat man es oft, daß das Gift nur so spritzt. Und jetzt kocht gerade auf dem Fischerhuder Feuer das Ladenschlußgesetz. Seit Jahrzehnten gibt es die sog. „Fischerhuder Verhältnisse“: trotz Ladenschlußgesetz wird hier munter auch sonntags verkauft. Plötzlich aber knüppelt die Verwaltung mit Bußgeldern und Zwangsvollstreckungen dermaßen dazwischen, daß inzwischen schon ein Laden dichtmachte. 3.500 Mark drohen dieser Tage zwangsweise bei einigen Läden eingetrieben zu werden. Doch die renitenten Geschäftsleute wollen sich keineswegs der Obrigkeit beugen – schon herrscht der schönste Krieg im Künstlerdorf.

Die Fischerhuder Verhältnisse

Seit undenklichen Zeiten, insbesondere seit Erfindung des Ladenschlußgesetzes 1956, nehmen Fischerhuder Geschäftsleute für sich das Privileg in Anspruch, sonntags zu verkaufen. Galerien, Museen, Kunsthandwerkstätten – alles verdienstvolle Institute zur Förderung der Kultur und zum Ruhme Fischerhudes. Am Sonntag kommen die Massen ins Dorf, da muß man natürlich geöffnet haben. Das ein oder andere Irdene, Wollene oder Gedruckte wanderte zu allseitiger Zufriedenheit über den Ladentisch. Bisweilen machten die Sonntagsumsätze 50 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Immer mal wieder versuchten Politiker, hier einzugreifen und dem Ladenschlußgesetz Respekt zu verschaffen – umsonst. Sie ließen Bußgeldbescheide verschicken. Umsonst: noch 1994 fiel ihnen das Amtsgericht Achim in den Rücken und verwarf die Bußgeldbescheide wg. „Geringfügigkeit“.

Sonntags in Fischerhude

Die Keramikerin Carola Süß erzählt: „Sonntags ist Fischerhude ein widerwärtiges Museumsdorf. Die Touristen klauen mein Obst, treten meine Blumen platt, wir werden hier wie Tiere angeglotzt.“ Der Ortskern ist dichtgeparkt, die letzten Bauern des Dorfs kommen mit ihren Silofahrzeugen nicht mehr durch. Neuerdings hat Fischerhude tatsächlich ein Parkleitsystem.

Der Dorn im Auge des Rats

Alle Geschäftsleute in Fischerhude wissen: Das mit dem Sonntagsverkauf ist illegal und eine kippelige Sache. Keramikerin Claudia Craemer hat anfangs immer brav zugemacht am Sonntag, dann machte sie es wie alle. Auch Dieter Dorn war zunächst vorsichtig mit seinem neuen Laden „natürlich“. Er bot Kunstgewerbliches aus Fernost, Tütenmännchen, Tees und Gipshunde an, die eine Zeitung im Maul halten können. Er schloß testweise sonntags den Laden auf. Die Behörde reagierte nicht. Nach einem Jahr renovierte er sein Geschäft aufwendig und machte gute Umsätze (am Sonntag). Wie alle anderen spekulierte er auf Duldung. Heute allerdings ahnt auch Dorn: „Ich war der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte.“ Chinatüddel in Fischerhude! Das alarmierte die Politik. Touristen hat man schon genug, jetzt sah man auch noch ganze Ladenzeilen von Nippesgeschäften auf sich zukommen. Die „Worpswedisierung“ Fischerhudes drohte. „Wir müssen,“ sagt der grüne Ratsherr und Landwirt Christian Wienke, „Begrenzungspfähle einsetzen.“ Die Verwaltung im zuständigen „Flecken“ Ottersberg fand den Dreh: das „Niedersächsische Gefahrenabwehrgesetz“ erlaubt der Gemeinde, Zwangsgelder zu verhängen und ggf. mittels Zwangsvollstreckung einzutreiben.

Der Buhmann

Ordnungsamtsleiter in Ottersberg ist Herr Buthmann-von Schwarz, inzwischen „Herr Buhmann“. Der liebt den militärisch-knappen Ton selbstbewußter Obrigkeit und paßt insofern in die Fischerhuder Landschaft, als da immer schon lieber geballert als geredet wird. Seitdem Touristenautos das Dorf verstopfen, hat Fischerhude eine Politesse. Diese Politesse spionierte sonntags aus, über welchen Ladentisch Ware ging. Februar '95 verschickte Buthmann Verfügungen („Hiermit untersage ich Ihnen ab sofort...“), mit 500 Mark Zwangsgeld bewehrt. Widrigenfalls Erhöhung auf 1.000, dann auf 2.000 ...

Die renitenten Vier

Zehn Geschäfte waren – unterschiedlich – betroffen. Einige knickten ein und gaben den Widerstand gegen die Behörde auf. Ein Laden (Fischerhuder Gift: „Die wäre sowieso pleite gegangen!“) gab ganz auf. Übrig sind heute vier: die traditionsreiche „Fischerhuder Kunstschau“, Dorns „natürlich“, ein Wolladen und Wolf-Dietmar Stock. Der hat einen Verlag (den Verlag Atelier im Bauernhaus) und eine Galerie mit Bücherverkauf. Der ehemalige Kommunist kämpft heute für die mittelständische Wirtschaft in Fischerhude und entwickelt dabei viel Spaß und Phantasie. Seine Analyse: Seit Fischerhude rotgrün regiert wird, sind die Vertreter der Zugezogenen und Neufischerhuder an der Macht, und die wollen vor allem eins – ihre Ruhe. Mit Stock gibt's aber keine Ruhe. Er wirbelt, verfaßt offene Briefe, macht die Presse heiß, verulkt die Verwaltung mittels satirischer Schriften und läßt sich nicht kleinkriegen. Resultat: seit neun Monaten kann die Behörde das Sonntagsverkaufsverbot nicht durchsetzen.

Der Gerichtsvollzieher

Politiker von grün bis schwarz sind sauer. Sauer sind auch die Geschäftsleute, die jetzt brav sonntags schließen. Bis 3.500 Mark Zwangsgelder sind bei einzelnen aufgelaufen und natürlich nicht bezahlt worden. Die Geschäftsleute sprechen von „Notwehr“. Entlassungen und weitere Schließungen stünden bevor, müßten sie auf den Sonntagsumsatz verzichten.

Die Renitenz geht weiter: Der Vollstreckungsbeamte soll nicht ins Haus gelassen werden. Mit den Hausbanken sind Strategien abgesprochen, wie man die Konten vor dem Zugriff des Staates schützen kann. Wolf-Dietmar Stock plant happeningartige Begrüßungsszenen für die Staatsgewalt.

Wie im Schnoor ...

Das Ladenschlußgesetz verbietet den Sonntagsverkauf. Punkt. Ausnahmen: Wallfahrtsorte, Kurorte, Ausflugsorte. Erklärt sich Fischerhude zu einem Touristenort, dürfen Geschäfte sonntags öffnen. Das will aber in Fischerhude niemand. Nicht einmal die Kaufleute und Galeristen, die Konkurrenz fürchten. Eine Sonderregelung nur für sie – das wär's. Geht doch auch im Bremer Schnoor, sagen sie.

Tatsächlich ist der Schnoor in den 80ern zum touristischen Gebiet erklärt worden; jetzt kann man dort auch am Sonntag die beliebten Schnoor-Eulen erstehen. Aber eben keine Schuhe. Das Ladenschlußgesetz läßt nämlich sonntags nur gewisse Waren zu: Devotionalien in Wallfahrtsorten; Badelatschen in Badeorten; und ansonsten „Waren, die für einen Ort kennzeichnend sind“.

Es ist auszuschließen, daß sich die Fischerhuder Geschäftsleute, die Politiker und die Verwaltung darauf einigen könnten, was fürs Dort „kennzeichnend“ ist. Zuviel Moordämpfe und tektonische Anomalien, zu komplex, das Kleinklima.

Burkhard Straßmann

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