piwik no script img

SanssouciNachschlag

■ Eine gelungene Party – Die 9. Ave-Modemesse in der Arena

Als die Ave-Modemesse vor acht Jahren erstmalig stattfand, war sie noch eine in kleinstem Rahmen gehaltene Veranstaltung. Heute ist sie die wichtigste Berliner Avantgarde-Messe und beliebter denn je: die 7.000 Quadratmeter große Halle der Treptower Arena, in der der Modewettbewerb nun erstmals ausgetragen wurde, war jedenfalls gut gefüllt. 35 JungdesignerInnen stellten ihre Kreationen an Verkaufsständen aus; 20 waren dazu auserkoren, ihre Kollektionen auf dem Laufsteg dem Wettbewerb zu stellen, dessen Gewinnern eine wohl eher symbolische Finanzspritze von 1.500 Mark winkt. Gekungelt wird dabei nicht, denn das Publikum bildet die Jury. „Ein schier unberechenbarer Faktor“, wie Jörg Pfefferkorn, Mode-Liebling der Szene und Teilnehmer der Show, meint, „aber das ist eigentlich auch

gut so.“

Die Wahl war nicht einfach. Denn auch dieses Jahr lautete das Motto der Veranstaltung „no concept“. Jedes Label zeigt seine eigenen Präsentationsideen mit eigener Choreographie und eigens mitgebrachten DJs. Weshalb man eigentlich darauf gefaßt war, den ein oder anderen Passantenschreck auf dem Laufsteg zu sehen. Doch erstaunlicherweise waren fast alle Stücke tragbar. Ja, man hatte gar das Gefühl, daß viele DesignerInnen ähnliche Wege beschritten haben. Weite Hosen in grellen Farben mit ebensolchen Shirts und Westen und groß aufgesetzten Taschen wurden am überzeugendsten vorgetragen vom In-Team-Label und der vierköpfigen Eisdieler-Crew, die seit kurzem einen eigenen Laden betreiben (Augustraße 74). Kai Heimberg, von Beginn an Organisator der Ave, beteuerte: „Daß zumeist tragbare Stücke präsentiert werden, liegt keineswegs an neuen Auswahlkriterien.“ Der alte Berliner Sack-und-Asche-Trend scheint ganz offensichtlich ausgedient zu haben.

Die mutigsten Modeschöpfer in diesem Jahr waren meines Erachtens das Zwei-Mann-Team IM-Waircraft mit ihrer „Luxusfleisch“-Kollektion. Fleischfarbene Damenmieder und Herren- Frotteschlüpfer wurden auseinandergenommen und in neue Formen gebracht, die mit dem Begriff „Oberbekleidung“ wohl nur unzureichend beschrieben wären. Eigentlich war diese Kreation – allein schon durch die Farbgebung! – nicht wirklich schön, aber immerhin witzig und vor allem innovativ. Auch die Damenmode der 25jährigen Kunsthochschulstudentin Caren Sielaff ist ganz schön „off“: Ein knöchellanges Abendkleid aus Plastiksonnenblumen dürfte die Trägerin zum Stehen und Schreiten verdammen. Sich hinzusetzen schien jedenfalls unmöglich. Was die Ave als Sprungbrett für junge ModemacherInnen bedeuten kann, beweisen Uta Riechers und Martin Wuttke von Next G.U.+ R.U. Now, die sich mittlerweile im internationalen Modegeschäft behaupten können. Diesmal außer Konkurrenz, bestritten sie das zwanzigminütige Pausenspecial mit einer Retrospektive. Vom Kunstgraspelz bis zu Müllmannschürzen, OP-Hemden und der jüngsten Kollektion „Jelly Mutations“ war alles zu sehen.

Auch wenn wirklich neue Bekleidungsideen fehlten, war die Ave eine gelungene Party. Hauptsponsor Chesterfield versorgte das Publikum mit Gratiszigaretten, und das immerhin dreieinhalbstündige Modespektakel war trotz Nässe (es regnete durch das Dach) und Kälte kurzweilig. Nicht zuletzt auch deswegen, weil sich die Models mit zunehmendem Sektkonsum immer häufiger bestens gelaunt auf dem Catwalk verliefen. Aber kleine Pannen sind bei dieser nonkonformistischen Veranstaltung schließlich Pflicht. Auch die Moderation der Berliner Obertunte Ades Zabel zog sich zunächst wie eine obergarige Lammkeule dahin, dem Backstage-Sekt sei Dank, kam sie später aber doch noch in Schwung. Jedenfalls hörte man selten jemanden so charmant auf abgeschleppte Autos und den unrühmlichen Zustand der Klokabinen hinweisen. Kirsten Niemann

Nicht Sack, nicht Asche, doch ganz schön gruftig Foto: Boris Geilert/G.A.F.F.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen