: Alptraum für schlaffe Brüder
Mit Saisonbestleistung reißt Eintracht Frankfurt beim 4:1 den FC Bayern München aus den letzten Allmachtsvisionen ■ Aus Frankfurt am Main Klaus-Peter Klingelschmitt
„Dream-Team“ wurde ES genannt, das in der Bundesliga kickende Ensemble des FC Bayern München – bis zu diesem 4. November im Waldstadion zu Frankfurt am Main. Der Traum ist aus. Aus Eintracht-Sicht war, was passierte, entzückend. Doch nicht nur die Frankfurter, keine(r) der knapp 60.000 hatte nach diesen 90 Minuten das Gefühl, daß ES in Zukunft noch einmal „alles, alles geben“ könnte, „daß dieser Traum doch noch Wirklichkeit wird“ (Ton, Steine, Scherben). Traumdeuter Otto Rehhagel jedenfalls fand nach der 1:4-Niederlage seiner Bayern zu klaren Worten: „Die Leute müssen von der Vorstellung Abstand nehmen, daß wir ein Dream-Team sind.“
„Schlafes Bruder“ Rudolf Scharping (Titanic) hat tatsächlich Gesellschaft bekommen. Mit Ausnahme von Torwart Oliver Kahn und Thomas Helmer boten gleich neun Brüder trotz brasilianischen Outfits ermüdenden „Schlafwagenfußball“. Weder Ziege noch Zickler konnten große Sprünge machen, denn die am Sonnabend engagiert zu Werke gehenden Abwehrspieler der Eintracht verhinderten solches. Für Jürgen Klinsmann war die Partie offenbar nicht wichtig genug. Denn „Cleansman“ macht „nur wichtige Tore“ (Vogts).
„Klinsmann, wir wissen, daß du Strapse trägst!“ Im äußerst schrägen Chorgesang kommentierten die nicht nur siegestrunkenen Anhänger der Eintracht in der Straßenbahn (Linie 15) später dessen extrem schwache Leistung. Die im Verhältnis 1:4 im öffentlichen Verkehrsmittel stehenden Anhänger der Bayern bissen da stumm in ihre eingerollten Fahnen.
Und Sforza, Ciriaco Sforza? Was war mit dem Wunderkind im zentralen Mittelfeld der Bayern? Gemessen an den Spielanteilen verlor auch Sforza exakt 1:4 gegen seinen Kontrahenten auf der anderen Seite. Manfred Binz meldete sich nach seiner Verletzung nämlich eindrucksvoll zurück: mit zwei Toren und glänzender Ballverteilung.
Mit zwei Toren? Daß bei „seinem“ ersten Tor (28.), einem äußerst spektakulären Seitfallschuß, sein Kollege Ivica Mornar den Ball endgültig über die Linie drückte, hatten weder Stadionsprecher noch ZuschauerInnen gesehen. Anyway. Binz war, neben Matthias Hagner und Jay Jay Okocha, einer der Matchwinner bei der Eintracht.
Gleich drei Nationalspieler der Bayern habe Hagner bei seinem zweiten Tor zum 3:1 (75.) „auf einem Quadratmeter“ naß gemacht, kommentierte Rehhagel den Auftritt des jungen Mannes. Dem hat das so gefallen, daß er nach dem Spiel verkündete, sich nicht mehr dem Studium der Betriebswirtschaft, sondern ganz und gar dem Studium der Fußballkünste widmen zu wollen. „Wie ein Traum“ sei's gewesen, das Spiel gegen ES – und wie ein Alptraum für die Bayern, die nach dem Schlußpfiff eilig in die Katakomben flüchteten.
ES hatte sich nach dem glücklichen Anschlußtreffer zum 2:1 durch Helmer (51.) nicht – wie von den Fans erwartet – gegen die drohende Niederlage gestemmt. Und ES spielte nach der roten Karte für Mornar nach grobem Foul an Nerlinger noch saft- und kraftloser als vor dem berechtigten Ausschluß des hitz- und kahlköpfigen Kroaten. So wurden die Bayern in den letzten zehn Minuten regelrecht vorgeführt. Jay Jay Okocha, der in dieser Woche als Rapper debütieren will, spielte als zweite Sturmspitze neben Hagner die Herren Strunz, Babbel und am Ende auch Helmer schwindelig. Binz biß sich in der Hälfte der Bayern fest. Und Libero Dickhaut und seine Kollegen in der Abwehr ließen keinen einzigen, erfolgversprechenden Konter der Bayern mehr zu.
Man habe den „Mount Everest“ mit Bravour erklommen, freute sich Trainer Karl-Heinz Körbel nach dem Match. Im Ermüdungsbad gab es da schon Sekt für die tapfere Eintracht, in den ein äußerlich cooler, aber innerlich wohl kochender Otto Rehhagel rasch noch Wasser goß: „Das war heute das beste Spiel der Eintracht in dieser Saison – und das wird es wohl auch bleiben.“
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