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Lager in Gorleben hat juristische Löcher

■ Die Genehmigung nach einfachem Baurecht erscheint nach der Novelle der Genehmigung nicht mehr vom Bundesverfassungsgerichtsurteil gedeckt

Hannover (taz) – „Gegen das Gorlebener Zwischenlager haben wir vor Gericht so gute Chancen wie nie zuvor“, glaubt der Hamburger Rechtsanwalt Nikolaus Piontek. Er vertritt drei Anwohner, die gegen die im Sommer erteilte novellierte Einlagerungsgenehmigung klagen. Diese sieht vor, das Gorlebener Zwischenlager rechtlich an die Erfordernisse der Langzeitzwischenlagerung anzupassen.

Das Papier vom Bundesamt für Strahlenschutz läßt nicht mehr nur die Zwischenlagerung von abgebrannten Brennelementen zu, sondern auch von Atommüll, der in ausländischen WAA-Anlagen aufgearbeitet worden ist. Die neue Genehmigung läuft außerdem länger als die alte – nämlich bis zum Jahr 2034 – und erhöht die im Zwischenlager erlaubte Menge an radioaktivem Abfall von 1.500 auf 3.800 Tonnen.

Dadurch steigt die Wärmeentwicklung im Lager auf mehr als das doppelte und ebenso die radioaktive Belastung der Umgebung. Am Zaun des Zwischenlagers sind jetzt 0,3 Milli-Sievert pro Jahr erlaubt, was genau dem zulässigen Grenzwert entspricht. Es ist der nach Aussage von Piontek höchste je in der Bundesrepublik Deutschland genehmigte Abgabewert für eine Atomanlage.

Aus Sicht des Atomrechtsspezialisten ist das Entsorgungskonzept eindeutig rechtswidrig. Zunächst war nämlich ein viel niedrigerer Abgabewert beantragt worden, von dem auch auf dem Erörterungstermin zur Erweiterung des Zwischenlagers noch die Rede war. Damals waren an den Behältern noch zusätzliche Abschirmungen geplant. Die allerdings hätten durch ihre Reflexionswirkung dazu geführt, daß das Personal über den erlaubten Grenzwert hinaus belastet worden wäre. Deswegen wurde schließlich auf diese zusätzlichen Abschirmungen verzichtet, sagt der Hamburger Rechtsanwalt. Das Atomgesetz schreibe in solch einem Fall eine erneute Auslegung der Antragsunterlagen und einen erneuten Erörterungstermin vor.

Auch die jüngst vom Marburger Strahlenbiologen Horst Kuni angestoßene Diskussion über die besondere Gefährlichkeit von Neutronenstrahlen bezieht die neue Genehmigung nicht ein: „Wenn man die neuen Erkenntnisse über die biologische Wirksamkeit von Neutronenstrahlen zugrunde legt, werden am Zaun des Zwischenlagers die zulässigen Grenzwerte überschritten“, stellt Nikolaus Piontek fest. Außerdem sei die Genehmigung zu unbestimmt. Sie sehe „besondere Maßnahmen“ für den Fall vor, daß die Temperatur im Zwischenlager durch den Müll bis auf sechzig Grad aufgeheizt werde und dadurch die Stabilität der Beton-Lagerhalle gefährde – was das konkret heißt, steht nicht in dem Papier.

Die Gorlebener Lagerhalle wurde außerdem genau wie eine Scheune nach Baurecht genehmigt. Auf das bei der Errichtung von Atomanlagen eigentlich vorgesehene atomrechtliche Genehmigungsverfahren haben die Betreiber damals verzichtet. Selbst das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahre 1988 diese Errichtung einer Atomlage nach Baurecht für rechtsmäßig gehalten, allerdings mit der Begründung, daß man die Castor-Behälter im Prinzip ja auch auf der grünen Wiese lagern könne. Die neue Genehmigung allerdings kann am Zaun des Zwischenlagers die Grenzwerte nur einhalten, weil in alle Berechnungen sehr wohl die Abschirmwirkungen der Halle selbst und auch die Abschirmung durch den Erdwall um die Anlage miteingegangen sind.

Auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1988 stützt der Hamburger Rechtsanwalt Nikolaus Piontek denn auch sein wichtigstes juristisches Argument gegen die neue Genehmigung. Wenn er vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg scheitert, will er erneut vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. „Mit den ewigen Nachbesserungen an der Genehmigung muß endlich Schluß sein“, sagt der Anwalt der Rechtshilfe Gorleben. Jürgen Voges

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