: Zurück an die Nadel?
In Hamburg läuft einer der erfolgreichsten Methadon-Modellversuche aus. Mangels Geld droht ein Rückfall in die drogenpolitische Steinzeit ■ Aus Hamburg Silke Mertins
Petra S. hatte Glück: Als die 24jährige Heroinabhängige vor sechs Jahren schwanger wurde, lief in Hamburg der großangelegte Modellversuch Methadon gerade an. Mit einem einfachen Antrag plus Lebenslauf konnte sich jeder Junkie mit dem Medikament Methadon-L-Polamidon substituieren lassen.
In 170 Hamburger Arztpraxen und 250 Apotheken wurde bislang der von Entzugserscheinungen, Beschaffungsdruck und Verelendung erlösende Sirup ausgegeben. Petra kam mit Hilfe der zum Methadonprogramm gehörenden psychosozialen Betreuung wieder auf die Beine, fand für sich und ihr Baby eine Wohnung, sie hat eine Ausbildung angefangen. „Ohne meine Sozialarbeiterin und die Methadonbehandlung hätte ich das nie geschafft“, sagt sie. Wahrscheinlich wäre sie schon tot, denn die Sterblichkeit bei nicht behandelten Junkies ist 60mal höher als bei Gesunden der gleichen Altersgruppe. Mit Methadon sterben Junkies nur 1,3mal häufiger.
Nach den alten Vorschriften der sogenannten „Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“ (NUB- Richtlinien) wäre Petra nicht ins Methadon-Programm gekommen. „Danach bekommen schwangere Süchtige vor und sechs Wochen nach der Geburt Methadon“, so Georg Chorzelski, Leiter einer Hamburger Drogenambulanz. Dann ist Schluß. Die Mütter landen wieder auf dem Drogenstrich zur Finanzierung der nächsten Spritze.
Ende das Jahres läuft der Modellversuch Methadon in Hamburg aus. Ärztekammer, Wissenschafter, Drogenhilfeeinrichtungen, ApothekerInnen und BetreuerInnen sind bereits in Panik geraten. Denn obwohl der Methadon-Vertrag nur noch knappe acht Wochen gilt, haben sich Krankenkassen, die Kassenärztliche Vereinigung und die Sozialbehörde nicht über die Zukunft des Substitutionsprogramms einigen können. Der Sinn der Behandlung ist unumstritten. Gestritten wird einzig und allein um Geld. Den Krankenkassen, allen voran die AOK, die den größten Batzen bezahlen muß, ist Methadon als Regelbehandlung zu teuer. Sie will, daß die Substitution aus dem normalen Topf bezahlt wird, der der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) für die allgemeine ärztliche Behandlung zur Verfügung steht. Doch dann müßte die gleiche Arbeit mit viel weniger Geld gemacht werden. Beide haben deshalb ein Auge auf die 10 Millionen Mark geworfen, die die Hamburger Sozialbehörde für die psychosoziale Betreuung zur Verfügung stellt. „Das kommt auf gar keinen Fall in Betracht“, erklärt der Drogenbeauftragte Dr. Horst Bossong klipp und klar. Aber auch er wird langsam nervös, weil die Verhandlungen um die Fortsetzung „eines zum Erfolg verurteilten Programms“ in einer Sackgasse stecken. Täglich landen Dutzende von Postkarten auf seinem Tisch, von Substituierten und Substitutionswilligen, die Angst um ihre Zukunft und ihre Überlebenschancen haben.
Nicht nur Bossong fordert, daß aus dem erfolgreich erprobten Modellversuch jetzt eine reguläre Suchtkrankenbehandlung wird. „Wozu dieser ganze wissenschaftliche Aufwand, wenn man daraus nicht die Konsequenzen zieht?“ fühlt sich auch Professor Peter Raschke, der die Begleitforschung der Substitutionsbehandlung leitete, von den Verantwortlichen verschaukelt. „Ich kann nur mit absolutem Unverständnis die hartleibigen Verhandlungen zur Kenntnis nehmen. Die Kassen sind schließlich für die Gesundheit der Patienten verantwortlich.“
Doch ein neuerlicher Verhandlungstermin, der für diese Woche angesetzt war, ist geplatzt. Die AOK, die als Hauptkostenträger ein Kompromißpapier ausarbeiten wollte, ist noch nicht soweit. Ein „drogenpolitischer Rückfall“ – so Professor Raschke – droht, wenn die Lösungssuche in diesem Tempo weitergeht. Denn ohne neuen Vertrag treten die veralteten und von den Gegnern der Substitution verfaßten NUB-Richtlinien wieder in Kraft. „Da muß ein Patient halbtot sein“, bevor er Methadon bekommt, beschreibt Bossong den Tenor dieser Richtlinien; HIV-infiziert zu sein reicht beispielsweise allein nicht aus. Der Junkie muß schon wenigstens an AIDS erkrankt sein. „Jedes Bundesland hangelt sich so durch“, sagt Bossong. Einige, wie Bremen, legen die NUB-Richtlinien sehr großzügig aus. Andere arbeiten wie Hamburg mit Modellversuchen oder einer Mischfinanzierung. „Was wir brauchen, ist eine deutliche Ausweitung der Richtlinien, die für alle verbindlich ist“, träumt Bossong. Denn der größte Erfolg des Methadonprogramms spricht eigentlich für sich: „Die Leute leben noch.“
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