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Zwischen den Mühlsteinen

Kompetenzgerangel zwischen Bezirken und der Senatsverwaltung für Gesundheit verhindert die notwendigen Einrichtungen ambulanter Versorgung für Süchtige und psychisch Kranke  ■ Von Michaela Eck

Regionalisieren und enthospitaliseren heißt das Programm, mit dem die Senatsverwaltung für Gesundheit angetreten ist, die Psychiatrie zu reformieren. Bis 1997 sollen 1.500 Klinikbetten in der Psychiatrie abgebaut werden. Die geplante Einsparsumme beträgt 250 Millionen Mark. Zeitgleich soll das ambulante Versorgungssystem ausgebaut werden.

Eine gesundheitspolitisch durchaus sinnvolle Umstrukturierung, doch die Umsetzung erfolgt vollkommen dilettantisch. Denn das Psychiatrieentwicklungsprogramm (PEP) ist noch nicht offiziell beschlossen. Noch liegt es in der Schublade der Senatsverwaltung für Gesundheit und wartet auf die Zustimmung des Senats, der Bürgermeisterkonferenz und auf die Verabschiedung durch das Parlament. Dieses Programm als Grundlage zur Psychiatrieplanung der Bezirke zu nehmen, sei unseriös und blockiere unnötig den Aufbau der ambulanten Versorgung in den Bezirken, so Heike Drees vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.

In einem rasanten Tempo streichen die Kliniken jetzt ihre Psychiatriebetten zusammen. Der gleichzeitig geforderte Ausbau der ambulanten Versorgung in den Bezirken läßt jedoch auf sich warten. Ambulante und teilstationäre Einrichtungen wie Beratungsstellen, betreute Wohngemeinschaften oder Tagesstätten, die künftig die Patienten aufnehmen, betreuen und Hilfe zur Selbsthilfe geben sollen, können mit ihrer Arbeit nicht beginnen, weil die Senatsverwaltung für Gesundheit auf den Geldern sitzt und sie nicht freigibt. Die freien Träger, die hier mit ihren Angeboten staatliche Aufgaben übernehmen sollen, geraten zunehmend zwischen die Mühlsteine von Bezirk und Senat.

„Wir hängen zwischen Baum und Borke“, kritisiert Andreas Becher vom Verein „Die Mitte e.V.“. Fünf Jahre nach der Vereinigung seien im Bezirk Mitte noch nicht einmal ein Drittel der notwendigen Psychiatrieplätze realisiert worden. „Der Bedarf ist da, wir könnten morgen anfangen“, kritisiert Andreas Becker vom „Verein Die Mitte e.V.“. Die Verwaltung arbeite einfach zu langsam, es werde geredet und geredet und nichts passiert.

Auch der freie Träger „Gemeindenahe Suchtarbeit Friedrichshain e.V.“ (Scharnie 59) hat existentielle Probleme. Ihm droht jetzt wegen Zahlungsunfähigkeit der Konkurs. Das geplante und vom Bezirk abgesegnete Projekt einer Tagesstätte mit 16 Plätzen für medikamenten- und alkohlabhängige Patienten liegt auf Eis, weil die Senatsverwaltung für Gesundheit die Mittel nicht bewilligt. Doch die Räume für die geplante Tagesstätte sind längst angemietet und renoviert, die laufenden Mietkosten reißen riesige Löcher in das Budget des Vereins.

Die Senatsverwaltung wäscht ihre Hände in Unschuld: Wir sind grundsätzlich gesprächsbereit, doch erst mal müßten sich die beiden Bezirke Friedrichshain und Lichtenberg, die nach dem Psychiatrieentwicklungsprogramm zusammen eine „Versorgungseinheit“ bilden, einigen, in welchem der beiden Bezirke die Tagesstätte angesiedelt werden soll. „Hier werden Zuständigkeiten von einem zum anderen geschoben, derweil macht der Träger aber pleite“, kritisiert der Paritätische Wohlfahrtsverband die „Hinhalte“- Taktik des Senats.

Auch der Friedrichshainer Gesundheitsstadtrat reagiert gereizt. Äußerst mühsam sei die Bedarfsanalyse im Bereich Psychiatrie mit den einzelnen bezirklichen Gremien ausgehandelt worden. Diese ganze Prozedur jetzt noch einmal gemeinsam mit dem Bezirk Lichtenberg auszuhandeln, sei doch absoluter Quatsch.

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